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Einmal scheint die Sonne wieder

Einmal scheint die Sonne wieder

Titel: Einmal scheint die Sonne wieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
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Ratschläge zum Entspannen.
    Eine Abbildung zu dem Artikel hatte sie gezeigt, wie sie im Négligé und mit kosmetischen Packungen über jedem Auge auf ihrem Bett lag. Ein ziemlich widerlich aussehender Mann, vermutlich ihr Gatte, rekelte sich in der Tür, und ich weiß noch, daß ich dachte, sie könnte nicht gerade zu dem nervösen Typ gehören, wenn sie sich mit Packungen auf den Augen auf einem Bett entspannen konnte, während er in der Tür stand. In dem Artikel hatte gestanden: „Denken Sie an Ihren großen Zeh. Der ist schwer. Der ist biegsam.“ Ich dachte an meinen großen Zeh, aber der war kalt und steif, und zwischen meinem Gehirn und den unteren Extremitäten schien Kurzschluß zu sein. Ich versuchte es mit meinen Fingern, Armen, Schultern. Mit ebensowenig Erfolg.
    Ein Mädchen im Nebenzimmer fing an zu husten. Ihr Husten klang tief und bellend und war eine willkommene Unterbrechung der Stille. Er war wie ein Signal, denn sofort hustete es die Korridore entlang. Schneller, trockener Husten, lockerer, schleimiger Husten, kurzer, abgerissener Husten, langgezogener, keuchender Husten. Das Krankenhaus erschien bevölkert und munter.
    Eine Schwester schoß in die Tür. Da die anderen schliefen, sagte sie zu mir: „Die Patienten haben ihren Husten zu unterdrücken. Husten läßt sich unterdrücken.“ Ich schwieg, weil ich nicht gehustet hatte, und wußte, wenn ich spräche, würde ich es tun. Sie sah mich einen Augenblick durchdringend an und stob wieder davon. Wie ich merkte, hatte das Husten aufgehört. Anscheinend war sie an jeder Tür stehengeblieben und hatte es abgestellt wie das Radio.
    Ich sah wieder zu der grünen Decke hoch und versuchte, aufrichtig und dankbar zu sein. Ich dachte an den schrecklichen Abend, als der Lungenspezialist mir gesagt hatte, daß ich Tuberkulose hätte; daß ich in ein Sanatorium gehen müßte, wenn ich gesund werden wollte; daß Sanatorien in der Woche 35 bis 50 Dollar kosteten. Ich erinnerte mich, wie ich neben ihm gestanden und ihn angesehen hatte und mir vorgekommen war wie eine Maus in der Falle – nirgends war ein Ausweg. Links herum, rechts herum – kein Ausweg – kein Ausweg – kein Ausweg!
    Jetzt war ich hier im Krankenhaus, wurde umsorgt, ernährt, überwacht und hoffentlich geheilt. Und doch mußte die Anstalt mich ermahnen, dankbar zu sein. Ich selbst mußte mich ermahnen, dankbar zu sein, denn meinem Instinkt nach war ich voller Groll. Voller Groll gegen die Vorschriften, voller Groll gegen die Schwestern, die diese Vorschriften durchsetzten. Was war mit mir los? Hatte der Chefarzt das gemeint, als er sagte, die Kur würde mir sauer werden, oder waren alle Tuberkulosepatienten so? Ich wollte Kimi fragen, wenn sie aufwachte, wenn die Ruhestunden vorbei waren. Ich sah auf meine Uhr. Es war 1 Uhr 7.
    Wieder schaute ich zur Decke hoch und versuchte, meine Finger zu entspannen; aber mein Herz pochte, und ich kam mir vor wie eine Himmelsrakete, die im nächsten Augenblick in eine Million zackiger Sterne zerbirst. Ich drehte mein Kissen herum und trank noch einen Schluck lauwarmes Wasser. Ich schloß die Augen und drückte die Finger auf die Augäpfel. Blinkende, blendende, kaleidoskopartige Bilder stiegen auf. Das war unendlich viel interessanter als die grüne Zimmerdecke, aber nach dem kleinen Buch weder sehr verständig noch dankbar.
    Ich streckte den Arm vor, griff nach meinem feuchten, kalten Waschlappen und legte ihn über meine Augen. Das war besser. Ich dachte: „Dies ist mein großer Zeh. Der ist schwer.“ Aber alles, was ich sehen konnte, war die Pistazieneisbombe. Die war todsicher schwer. Ich nahm meinen Waschlappen weg und drehte mich um, damit ich wieder die Pappel sehen konnte. Als ich sie mir anschaute, löste sich ein kleines Blatt und glitt müde durch die neblige Luft. Verglichen mit dem Krankenhaus wirkte das wie eine Geste hysterischer Aktivität. Ich schaute lange hin, aber es fielen keine Blätter mehr ab.
    Das Mädchen im Nebenzimmer fing wieder an zu husten. Es klang gedämpft, als versuche sie verzweifelt, nicht zu husten, aber ich hörte das leise Flüstern der Schwester und das „Patienten haben den Husten zu unterdrücken“. Wieder begann mein Herz zu pochen, unsinnig, als klömme ich einen steilen Berg hoch. Ich drehte mich um und legte mich aufs Herz und konnte das Dröhnen bis in den Kopf hinauf spüren. Poch, poch, poch, poch. Ich drehte mich wieder zurück; es klopfte noch stärker.
    Als die Schwester hereinsah, winkte ich

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