Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einmal scheint die Sonne wieder

Einmal scheint die Sonne wieder

Titel: Einmal scheint die Sonne wieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
Vom Netzwerk:
und Kakao, wie sonst, noch alle Eßwaren, die die Patienten von ihrem Besuch bekommen hatten. Die Schwester bot uns trockenen, hellen Kuchen an, den wir in unserer Familie immer als „Würgekuchen“ bezeichneten, Schokoladentafeln, Törtchen, Kekse und Süßigkeiten. Alle Eßwaren, die wir bekommen hätten und nicht essen könnten, wenn das Licht abends aus sei, müßten auf den Wagen gelegt werden, ordnete sie an. Ich empfand es als Sakrileg, Mutters Plätzchen zu den trockenen Törtchen und dem Würgekuchen auf den Wagen zu legen, und zerbrach mir den Kopf, was ich mit ihnen machen sollte, als die Nachtschwester das Problem dadurch löste, daß sie alle verspeiste, während sie sich mit uns unterhielt.
    Sie erzählte uns, daß sie Katy Morris hieße, vierundzwanzig Jahre alt sei und sehr interessiert an Tuberkulose, denn ihr Bruder wäre daran gestorben. Kimi entgegnete: „Ich nehme ein, daß die meisten Patienten hier zu guter Letzt sterben.“ – „Unsinn,“ widersprach Katy, „die meisten Patienten hier werden gesund. Sicher sterben ein paar, aber jeder, der tut, was man ihm sagt, und sich bemüht, gesund zu werden, wird meistens auch gesund.“
    Ich sagte ihr, wie ich mich gewundert hätte, daß eine so alte Frau wie Nellie Tuberkulose haben könnte. Katy erzählte, daß unten eine Reihe sehr alter Männer läge und man bei alten Leuten, die seit Jahr und Tag Erkältungen oder Husten gehabt hätten, sehr, sehr oft aktive, ansteckende Tuberkulose feststellte. Weiter unten im Flur läge eine achtundsiebzigjährige Frau mit einem dreizehnjährigen Mädchen in einem Zimmer.
    Als sie schon feist draußen war, bat Kimi: „Nur für den Fall, daß ich vielleicht eine von den wenigen bin, die sterben müssen, würden Sie wohl das Radio ein bißchen lauter stellen?“ In unserem Zimmer war ein Schaltknopf, und mit einem Blinzeln zu mir drehte Katy an ihm, bis wir jedes Wort verstehen konnten.
    Der Rest des Abends verging damit, daß wir die Programme anhörten und Wasser tranken, um die Tuberkelbazillen aus unserem Organismus zu spülen. An jenem Abend und noch oft und oft in den kommenden Wochen dachte ich bei mir, was für ein Glück ich doch hätte, daß die freundliche, kluge, besonnene, witzige, hübsche Kimi meine Zimmergenossin war.
    Wenn man plötzlich mit völlig fremden Leuten zusammengestopft und gezwungen wird, einen geschlagenen Tag nach dem anderen mit ihnen zu verleben, ohne jemals etwas für sich zu haben können, dann ist die Anpassung genau so ein Problem wie bei einer richtigen Ehe, allerdings ohne die Spannung des noch Unbekannten und das Abflauen des Erotischen.
    Ich mag die Menschen gern, aber nicht alle Menschen. Ich bin weder christlich noch gütig genug, jeden zu mögen, nur weil er lebt und atmet. Ich will, daß die Menschen mich interessieren oder amüsieren. Ich will, daß sie faszinierend und witzig sind, oder so langweilig, daß sie sich dadurch auszeichnen; entweder intellektuell anregend oder herrlich abstoßend; von vollendetem Charme oder hundertprozentig Ekel. Ich will, daß die Menschen, die ich mir zur Gesellschaft ausgesucht habe, sich von der wogenden Masse unterscheiden – wie, das ist mir gleich.
    Dabei denke ich an eine wunderbare Frau, eine Bekannte von früher, die ein herrliches Englisch sprach und in ihrem Hühnerhaus lebte. Sie hatte in der Mitte goldfarbene Sammetportieren aufgehängt, damit die Küken wüßten, sie seien nicht die einzigen Bewohner. Während wir dort unseren Tee tranken, beklagte sich meine Freundin in ihrem herrlichen Englisch über die traurigen Zustände im amerikanischen Erziehungswesen und merkte überhaupt nicht, daß die fetten Hennen glucksten, kratzten und in die goldfarbenen Sammetportieren gerieten, so daß diese sich blähten und aufschlugen, und kleine braune Federn und Häckselstückchen zwischen ihnen hindurchflitzen und auf unserem Teetisch landeten.
    Oder an eine frühere Nachbarin, deren Mann sich Mallard-Enten in ihrem Keller hielt. Sie wollte so unbedingt etwas Bedeutendes sein, daß sie immer „meines Mannes Geschäftsunternehmen“ sagte, wenn sie von der Entenzucht sprach, die dadurch so großartig und wichtig wie ein Gaswerk erschien. Oder an eine andere Frau, die mich in helle Begeisterung versetzte. Sie war so versessen darauf, vornehm zu seih, daß sie mit den Augen zwinkerte und vorsichtig abwartete, bevor sie sich traute, überhaupt etwas zu sagen, und dann brachte sie solche Glanzleistungen hervor wie: „Unter uns

Weitere Kostenlose Bücher