Einmal scheint die Sonne wieder
die Oberschwester etwas später ihre Visite machten, beklagte sich Eileen über die Kälte und bat um eine Wärmflasche. Sofort sagte die Oberschwester: „Wärmflaschen werden morgens um 8 Uhr 30 und abends um 7 Uhr 15 gefüllt.“ Eileen: „Heute morgen um 8 Uhr 30 war ich noch nicht da, und jetzt ist mir kalt!“ Darauf die Oberschwester: „Ihre Wärmflasche wird heute abend um 7 Uhr 15 gefüllt.“ Unglückseligerweise fiel gerade an diesem Abend das Füllen der Wärmflaschen Miß Muelbach zu, die dabei so langsam war, daß, selbst falls sie heißes Wasser eingefüllt hätte – was sie nie tat –, die Flaschen kalt gewesen wären, wenn sie ausgeteilt wurden. Meine Flasche warf sie an das Fußende meines Bettes, tropfend und kalt. Ich sah zu Eileen hinüber. Die fluchte und warf ihre Wärmflasche auf den Boden. Sie prallte mit lautem Krach auf, aber wenn Miß Muelbach die Wärmflaschen austeilte, krachte es so oft auf der Station, daß niemand diesen einen bemerkte.
Eileen wartete einige Minuten, wobei ihre Augen an der Tür hingen, kehrte dann ihr Gesicht zur Wand und heulte mit lautem Schluchzen. Sie tat mir schrecklich leid. Ich wußte, wie kalt, allein und ungeliebt sie sich fühlte. Ich wußte, wie hassenswert alle im Fichtenhain ihr Vorkommen mußten, aber mir fiel nichts ein, das ich ihr hätte sagen können und das sich anders angehört hätte als ein erbaulicher Gedanke oder ein Zitat aus der Krankenhausordnung. Kimi löste das Problem mit ihrer kleinen süßen Stimme, indem sie sagte: „Eileen, vom Weinen wird nur Ihr Kissen und Ihr Bettuch naß und kalt. Wenn Katy kommt, die Nachtschwester, wird sie Ihre Wärmflasche füllen. Seien Sie nicht traurig, wir meinen es gut mit Ihnen, und Sie tun uns leid.“
Kimis Worte klangen immer, als gehörten sie auf ein Blatt Pergament, über dessen eine Ecke ein Tuff von Kirschblüten oder eine einzige Iris gemalt ist. Eileen hustete laut, ohne sich den Mund zuzuhalten, ja sogar mit weit offenem Mund und zum Gang hin, dann wischte sie sich die Augen am Bettuch ab und drehte sich zu Kimi um. „Warum müssen die alle auch so ekelhaft gemein sein?“ Kimi sagte: „Es ist gescheiter, nicht zu sprechen, bis die Tagschicht Dienstschluß hat. In ein paar Minuten können wir offen miteinander reden und ohne Angst vor Strafe.“
Als Katy ihren Dienst begann, gab sie Eileen eine neue Wärmflasche, heiße Milch und ein paar gute Ratschläge. „Wir versuchen nicht, gemein zu Ihnen zu sein, Kleines, wir haben eben nur ein Schema und unsere ganz bestimmten Anordnungen und müssen darauf achten, daß die Patienten sich einfügen.“ Kimi meinte: „Was Sie sagen, Katy, stimmt schon; aber es stimmt auch, daß gefühllose Leute oft übers Ziel schießen, wenn sie unbegrenzte Autorität bekommen.“ Katy entgegnete: „Die Schwestern sind zum größten Teil noch ganz junge Dinger, die gerade die Ausbildung hinter sich haben. Wenn sie sich häßlich benehmen, versuchen sie so und so oft nur, die Anordnungen zu befolgen.“
Ich sagte: „Ich finde, der Schwestern und Patienten wegen sollte es eine kurze Eingewöhnungszeit geben. Daß man ein normales, vergnügtes menschliches Wesen in den Fichtenhain sperrt und erwartet, daß es sich sofort in die Tuberkulose-Routine einpaßt, ist genau so blöd, als wenn man einen heißblütigen Spanier in eine Schneewüste nach Norwegen schickt und ihm sagt, jetzt solle er mal anfangen, Ski zu laufen und Norwegisch zu sprechen.“ – „Aber in vielen Fällen ist dazu keine Zeit mehr,“ antwortete Katy. „Bis die Patienten sich gutwillig eingewöhnt hätten, wären sie tot.“ Vermutlich hatte sie recht, aber ich fand, daß mein Einwand auch nicht von der Hand zu weisen war.
Bei der anschließenden Unterhaltung kam heraus, daß Eileen einundzwanzig Jahre alt war, einziges Kind und Waise. Sie war bei ihrer „Oma“ aufgewachsen, von katholischen Schwestern erzogen und, seit sie das Abschlußexamen der höheren Schule gemacht hatte, in einem sehr großen Kino als Platzanweiserin beschäftigt. Eileen war Feuer und Flamme für ihren Beruf, begeistert von allen Filmen, las nur Filmzeitschriften und war eine unerschöpfliche Quelle zur Information über jeden Film und das Privatleben der Stars.
Schon am nächsten Morgen fing sie an, Wärme und Farbe in die kalte, graue Zeitspanne zwischen Waschwasser und Frühstück zu bringen, indem sie uns den Inhalt von Filmen erzählte, die sie gesehen hatte. Ihr Geist arbeitete mit raketenartiger
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