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Einmal scheint die Sonne wieder

Einmal scheint die Sonne wieder

Titel: Einmal scheint die Sonne wieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
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jetzt aussah, wie ein Kornwurm, der nicht geschlafen hat. Ich erwog gerade die Entfernung der Wimperntusche, als zwei fremde Schwestern einen Wagen hereinrollten, mich mit einem Griff am Laken darauf verfrachteten und mich eilig in den Operationssaal im obersten Stock des Verwaltungsgebäudes fuhren.
    Infolge meiner Allergie hatte mich das Morphium nicht eingeschläfert, sondern sehr wach, munter und nervös gemacht, sehr aufnahmefähig für jeden Laut, jeden Geruch, jedes neue Gesicht. Der Operationssaal war hoch und durch die weißgekachelten, glänzenden Wände sehr hell. Dort erwarteten mich zwei Ärzte, die mit ihren Operationsmänteln und Mützen wie runzlige Ku-klux-klanners aussahen, und drei weißumwickelte, weißumhüllte Operationsschwestern. Eine von diesen stellte sich als Operationshilfe und Freundin meiner Schwester Mary vor.
    Ich wurde von dem Wagen auf den Operationstisch gelegt, auf meine rechte Seite, beide Arme über den Kopf. Nachdem dann Rücken und Brust gründlich geschrubbt und bemalt worden waren, wurde mir in die hnke Seite unter den Arm und in den Rücken dicht beim Schulterblatt Novocain gespritzt.
    Der Arzt, der mir gewöhnlich den Pneumothorax füllte, erklärte mir, was sie getan hätten, täten und vorhätten. „Jetzt machen wir unter ihrem Arm ein Loch. In diesen Einschnitt führen wir eine kleine Lampe ein, so daß der Chirurg sehen kann, was er durch den Einschnitt, den er in Ihrem Rücken gemacht hat, wegschneiden kann.“ Die Operationshilfe, die in die Löcher guckte und aufzeichnete, was sie sah, machte ebenfalls Randbemerkungen. „Ihre Lunge hat ein herrliches Blau,“ oder: „Sie sollten sehen, wie präzise der Arzt arbeitet.“
    Sobald sie so weit waren, daß sie schneiden konnten, gingen die Lampen aus und eine blaue Lampe ging an. Dann sagte der Chirurg: „Null zwei,“ und eine Schwester wiederholte: „Null zwei,“ während sie ihm die Instrumente zureichte und wieder zurücklegte, nachdem er sie benutzt hatte.
    Es war sehr heiß im Operationssaal, und ich war furchtbar nervös. Nach kurzer Zeit begannen mir kleine Bäche von Schweiß über die Stirn und in die Wimperntusche zu rinnen. Die Wimperntusche lief mir in die Augen und brannte heftig. Tränen liefen mir die Wangen hinunter. Ich wollte die Schwester, die neben meinem Kopf stand, bitten, mir die Augen auszuwischen; aber wenn ich sprach, befahl mir der Arzt jedesmal, den Mund zu halten, da sie an meiner Lunge schnitten und die durchs Sprechen bewegt wurde.
    Die Schwester sah schließlich meine Tränen, und da sie glaubte, daß ich vor Schmerz oder Angst oder vor beidem weinte, hielt sie mir schleunigst Salmiakgeist unter die Nase, wodurch meine Augen noch stärker tränten und mehr Wimperntusche wegfloß.
    Nach, wie mir schien, Jahren erklärte der Arzt, daß sie die Betäubung auf zwei Verwachsungen berechnet, aber vier gefunden hätten und die auf jeden Fall fortschneiden müßten. Ich müsse tapfer sein, sagte er, und dürfe mich nicht rühren. Ich war sehr tapfer und rührte mich nicht, aber nur, weil das leichte Brennen beim Losschneiden der nicht betäubten Verwachsungen nichts war im Vergleich zu der Qual, die ich bereits durch die Wimperntusche ausgestanden hatte.
    Um 11 Uhr 50 wurde ich in die Bettlägerigen-Station zurückgefahren und trotz lauter Proteste meinerseits in das Bestrahlungszimmer gelegt, das – nach Eleanor – für sichere Todeskandidaten reserviert war. Um 2 Uhr brachten Mutter und Mary einen ganzen Arm voll Frühlingsblumen, und ich wurde ganz blaß, als ich sie sah, denn ich hatte vergessen, daß Besuchstag war, und dachte, man hätte nach ihnen geschickt.
    Um 4 Uhr 50 hatte man mich schon in mein Zimmer zurückgebracht, und nur an den leicht schmerzenden Stellen unter meinem Arm und im Rücken und an meinen hochroten Augenrändern merkte ich noch, daß ich den Morgen im Operationssaal verbracht hatte. Man hatte mir gesagt, daß ich ein paar Tage im Liegen zu essen hätte, aber Charlie kam doch zu Besuch. Er ergriff meine rechte Hand und sagte: „Als Kimi mir erzählt hat, daß Sie in den Operationssaal kämen, hab ich mir gedacht: ,Sag ’nem netten Mädel Lebwohl, Charlie!‘“ Ich entgegnete: „Aber, Charlie, es war doch gar nichts dabei. Mir geht es ausgezeichnet. “Er meinte: „Warten Sie lieber, bis die nächsten Tage vorbei sind. Bis dahin läuft noch viel Wasser den Berg hinunter.“
    Das bewahrheitete sich gegen 7 Uhr 50, als ich ein merkwürdig knirschendes Gefühl

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