Eins, zwei, drei und du bist frei
ganze Blech gegeben. Es war das mindeste, was ich tun konnte, nachdem du ihn so schnöde im Stich gelassen hast.« »Das ganze Blech?« rief ich. »Wie konntest du nur? Ich habe kein einziges Stück abgekriegt!«
»Das kommt davon, wenn man andere einfach sitzenläßt. Woher sollte ich wissen, wo du steckst? Es hätte ja sein können, daß dich jemand entführt hat. Daß dich ein Gehirnschlag getroffen hat und du irgendwo mit Gedächtnisschwund durch die Gegend irrst. Konnte ich ahnen, daß du zurückkommst und Gewürzkuchen haben willst?«
»Ich hatte gute Gründe abzuhauen«, jammerte ich. »Sehr gute Gründe sogar.«
»Was für Gründe?«
»Morelli hätte mich verhaftet – vielleicht.«
Meine Mutter holte tief Luft. »Dich verhaftet?«
»Es besteht die geringe Wahrscheinlichkeit, daß ich unter Mordverdacht stehe.«
Meine Mutter bekreuzigte sich.
Grandma sah nicht annähernd so niedergeschlagen aus. »Neulich, im Fernsehen, war eine Frau in einer Talkshow, die sagte, man hätte sie verhaftet, weil sie Shit geraucht hat. Wenn man verhaftet wird, würde einen die Polizei in eine kleine Zelle sperren und einen dann auf dem Überwachungsbildschirm beobachten und nur darauf warten, daß man das Klo benutzt. Sie sagte, in einer Ecke der Zelle stünde ein Nachtstuhl aus rostfreiem Stahl, der hätte keine Klobrille oder so. Da müßte man sich draufsetzen. Direkt gegenüber von dem Stuhl wäre die Kamera angebracht, damit sie auch alles gut sehen können.«
Mir drehte sich der Magen, und vor meinen Augen tanzten kleine schwarze Sternschnuppen. Ich fragte mich, ob wohl genug Geld für ein Flugticket nach Brasilien auf meinem Bankkonto war.
Grandma bekam plötzlich einen verschlagenen Gesichtsausdruck. »Die Frau im Fernsehen sagte, bevor man verhaftet würde, sollte man bergeweise Bananen essen, die würden gut stopfen, dann könnte unten nichts raus und man könnte es so lange aushalten, bis man auf Kaution freikäme.«
Ich setzte mich auf einen Stuhl und steckte den Kopf zwischen die Knie.
»Das kommt davon, wenn man für den Vetter seines Vaters arbeitet«, sagte meine Mutter. »Du bist doch ein kluges Mädchen. Du hast eine anständige Arbeit verdient. Warum wirst du nicht Lehrerin?«
Ich dachte an Mary Lous Kind, das aufgeweichte Plätzchen im Haar, und war heilfroh, daß ich Kopfgeldjägerin war. Es hätte viel schlimmer kommen können, dachte ich. Ich hätte Lehrerin werden können.
»Ich muß nach Hause«, sagte ich und holte meinen Mantel von der Garderobe in der Diele. »Ich habe viel zu tun morgen. Ich muß früh ins Bett.«
»Da«, sagte meine Mutter und gab mir eine Einkaufstüte. »Etwas Braten. Für ein Sandwich reicht es noch.«
Ich schaute in die Tüte. Braten. Kein Gewürzkuchen.
»Danke«, sagte ich. »Ist auch bestimmt kein Gewürzkuchen mehr übrig?«
»Unter Mordverdacht«, sagte meine Mutter. »Wie ist es bloß möglich?«
Ich wußte es nicht. Ich hatte mich das auch schon gefragt. Ich grübelte sogar den ganzen Heimweg darüber nach. Ich war doch kein schlechter Mensch. Ich schummelte nur ein bißchen bei den Steuern, und ich zahlte die meisten Rechnungen. Ich war nicht gemein zu alten Leuten, nur hinter ihrem Rücken. Ich nahm keine Drogen. Warum bloß hatte ich so ein Pech? Na gut, ich ging nicht so oft in die Kirche, wie ich eigentlich müßte, aber meine Mutter ging regelmäßig. Ich dachte, das sollte reichen.
Ich rollte mit Big Blue auf den Parkplatz. Es war spät. Alle guten Plätze waren schon besetzt. Ich war wieder bei dem Müllcontainer gelandet. Und wenn schon. Wenigstens gewährte er mir Deckung bei den nächsten Schüssen aus einem fahrenden Auto. Ich sollte in Zukunft immer hier parken.
Ich schaute hoch zu meiner Wohnung und sah, daß Licht brannte. Das war merkwürdig, denn ich war mir sicher, daß ich es ausgemacht hatte, als ich nachmittags aus dem Haus gegangen war. Ich stieg aus dem Auto und ging bis zur Mitte des Platzes. Ich schaute wieder hoch zu meiner Wohnung. Das Licht brannte. Was hatte das zu bedeuten? Es konnte bedeuten, daß die Lichter beim Verlassen meiner Wohnung an gewesen waren und daß ich an frühem Schwachsinn litt, mit einer zusätzlichen Portion Verfolgungswahn.
Ein Schatten tauchte kurz an der hinteren Wand meines Wohnzimmers auf, und mein Herz setzte einen Schlag lang aus. Jemand war in meiner Wohnung. Ich war erleichtert, weil ich wenigstens die Schwachsinnsvariante ausschließen konnte, aber das befreite mich nicht von meinen
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