Eins, zwei, drei und du bist frei
»Sie macht ihren Hackbraten mit Olivenscheiben, und sie nimmt eingeweichtes Brot anstelle von Paniermehl.«
Die beste Methode, meine Mutter abzulenken, ist, übers Essen zu reden. Seit dreißig Jahren bringen wir unsere gegenseitige Liebe und Wut in Gesprächen über Soße und Kartoffelbrei zum Ausdruck.
»Bleibst du jetzt zum Abendessen oder nicht?« wollte meine Mutter wissen. »Zum Nachtisch gibt es Gewürzkuchen mit Mokkaschokoladenguß.«
»Na klar«, sagte ich. »Wenn ich darf.«
Während meine Mutter weiter in der Küche rumorte, half ich Grandma Mazur beim Tischdecken. Wir wollten uns gerade hinsetzen, als es an der Haustür klingelte.
»Wahrscheinlich der Zeitungsbote, der uns wieder Geld aus der Tasche ziehen will«, sagte Grandma. »Ich kenne seine Tricks.«
Ich ging an die Tür und schaute in die braunen Augen von Joe Morelli.
Er grinste breit, als er mich sah. »Da staunst du, was?«
»Was willst du denn hier?«
»Die lange Wunschliste oder die kurze?«
»Gar keine.« Ich unternahm einen Versuch, ihm die Tür vor der Nase zuzumachen, aber er drängte sich einfach in die Diele. »Raus hier!« sagte ich. »Du kommst ungelegen.«
Er beachtete mich überhaupt nicht, sondern spazierte ins Eßzimmer. »’n Abend«, sagte er zu meiner Mutter. Er grüßte meinen Vater mit einem Kopfnicken und blinzelte meiner Großmutter zu.
»Es gibt Hackbraten mit Oliven«, sagte Grandma Mazur zu Morelli. »Möchten Sie den probieren? Es ist reichlich da.«
»Ich möchte mich nicht aufdrängen«, sagte Morelli.
Ein Satz, der Augenverdrehen bei mir auslöste.
Meine Mutter rückte einen Stuhl an den Platz neben mich und stellte noch einen Teller auf. »Wir können doch nicht zulassen, daß Sie ohne was im Magen wieder aufbrechen«, sagte sie zu Morelli.
»Ich schon«, sagte ich.
Meine Mutter haute mir mit einem Holzlöffel auf den Kopf. »Sei nicht so vorlaut.«
Morelli schaufelte sich zwei Scheiben Braten, Kartoffelbrei, grüne Bohnen und Apfelsoße auf seinen Teller. Er machte höflich Konversation mit meiner Mutter und Großmutter und unterhielt sich mit meinem Vater über die Sportergebnisse. Oberflächlich betrachtet wirkte Morelli entspannt, und er lachte, aber in unbeobachteten Momenten ertappte ich ihn dabei, wie er mich mit der lässigen Aufmerksamkeit eines Laubfroschs musterte, der ein schmackhaftes Insekt anpeilt.
»Na? Was haben Sie und meine Enkelin denn nun miteinander?« sagte Grandma Mazur. »Da Sie zum Abendessen kommen, muß es sich doch wohl um was Ernstes handeln, nehme ich an.«
»Es wird mit jeder Sekunde ernster«, sagte Morelli.
»Morelli und ich haben eine rein berufliche Beziehung«, sagte ich zu Grandma. »Mehr nicht.«
Morelli lehnte sich bequem zurück. »Du willst doch deine liebe Oma nicht beschwindeln. Du bist doch ganz verrückt nach mir.«
»Nun hör sich einer das an«, sagte Grandma sichtlich entzückt. »Der ist mir ja einer.«
Morelli beugte sich zu mir rüber und senkte seine Stimme. »Wenn schon von Arbeit die Rede ist, ich hätte da etwas, über das ich mich gerne einmal ungestört mit dir unterhalten möchte. Können wir nicht nachher, wenn der Tisch abgeräumt ist, ein bißchen spazierenfahren?«
»Herzlich gerne«, sagte ich. Ich kann mir auch ein Auge mit der Fleischgabel ausstechen.
Ich stellte die Teller zusammen und trug sie in die Küche. Meine Mutter und Grandma Mazur kamen hinterher, um die Nachtischschälchen zu holen.
»Schneid du ruhig den Kuchen an«, sagte ich zu meiner Mutter. »Ich setze schon mal den Kaffee auf.«
Ich paßte einen Moment ab, in dem ich die Küche für mich alleine hatte, und setzte mich umgehend durch den Hinterausgang ab. Ich hatte nicht die Absicht, eine Spazierfahrt zu unternehmen, die in einer Durchsuchung der Körperhöhlen gipfeln würde. Nicht, daß ich in der Durchsuchung von Körperhöhlen keine Erfahrung hatte. Morelli hatte diese Prozedur schon etliche Male an mir vorgenommen, in verschiedenen Lebensaltern und mit unterschiedlichem Erfolg. Diesmal nur bestünde die neue Variante darin, daß die Durchsuchung von einer Gefängnisaufseherin vorgenommen würde – was längst nicht so abstoßend wäre, wie Morelli in die Hände zu fallen.
Ich hatte nur Jeans, Schuhe und ein Baumwollhemd über einem T-Shirt an, und als ich den Garten meiner Eltern durchquert und zwei Straßen weiter bis zu Mary Lou gelaufen war, klapperte ich mit den Zähnen vor Kälte. Mary Lou ist meine engste Freundin, seit ich denken kann. Seit
Weitere Kostenlose Bücher