Eins, zwei, drei und du bist frei
vor sich hin, auf der hinteren Herdplatte köchelten Erbsen und Möhren. Die Fensterscheiben in der Küche waren unten reifbesetzt und oben dampfbeschlagen. Von der Wand hinter dem Herd tropfte Kondenswasser.
Meine Mutter piekste in die Kartoffeln. »Die Kartoffeln sind gar«, sagte sie.
»Ich muß Schluß machen«, sagte ich zu Ranger. »Die Kartoffeln sind gar.«
»Und wenn ich nicht aufkreuze? Was passiert dann?« wollte Ranger wissen.
»Frag lieber nicht.«
»Scheiße«, sagte Ranger.
Mein Vater ist ein Scheinheiliger in Sachen Chancengleichheit. Er würde nie einem Menschen seine Grundrechte absprechen, und er hegt gegen niemanden den geringsten Haß. Er weiß nur im Grunde seines Herzens, daß Italiener überlegen sind, daß Stereotypen von Gott erschaffen sind und daß ein Mensch einen Buick fährt, wenn er überhaupt was taugt.
Er starrte Ranger mit dem sprachlosen Entsetzen an, das man eher von jemandem erwartet hätte, dessen Haus soeben ohne ersichtlichen Grund von einer Brandbombe getroffen worden war.
Ranger trug wieder seine schwarze Kluft. Zwei goldene Stiftschrauben in jedem Ohr. Tailliertes, langärmliges T-Shirt, die Ärmel bis zu den Ellbogen aufgekrempelt, am Arm eine Taucheruhr mit schwarzem Band, schwarze Rapperhosen, die in schwarzen Springerstiefeln steckten, und ausreichend Goldkettchen um den Hals für eine Notkaution bei Mordverdacht.
»Bedienen Sie sich«, sagte meine Großmutter und reichte ihm die Schale mit dem Schinken. »Sind Sie Neger?«
Ranger verzog keine Meine. »Kubaner.«
Großmutter war enttäuscht. »Schade«, sagte sie. »Das wäre doch was gewesen, wenn ich den Mädchen im Schönheitsalon hätte sagen können, ich hätte einen Neger zum Essen dagehabt.«
Ranger lächelte und spießte eine Kartoffel auf.
Ich hatte bereits im frühen Kindesalter entschieden, mich nicht für meine Familie zu schämen. Ein weiterer Vorteil, wenn man in Jersey lebt. In Jersey genießt jeder Mensch das verbriefte Recht, sich selbst zu beschämen, ohne einen Gedanken an seine Mitmenschen zu verschwenden. Gelegentlich wird Selbstbeschämung sogar von dir erwartet.
Ich merkte, daß meine Mutter Geistesgymnastik betrieb, um ein unverfänglicheres Gesprächsthema zu finden. »Ranger ist ein ungewöhnlicher Name«, bekam sie heraus. »Ist das ein Spitzname?«
»So heiße ich auf der Straße«, sagte Ranger. »Ich war Ranger in der Armee.«
»Ich habe mal eine Fernsehsendung über diese Ranger gesehen«, sagte Grandma. »Ich habe gehört, die sollen Hunde schwängern.«
Meinem Vater klappte die Kinnlade herunter, und ein Bissen von dem Schinken fiel heraus.
Meine Mutter erstarrte, die Gabel auf halbem Weg zum Mund.
»Das ist doch nur ein Witz«, sagte ich zu Grandma. »In Wirklichkeit tun sie das gar nicht.«
Ich sah Ranger wie zur Bestätigung an und erntete ein weiteres Lächeln.
»Es ist gar nicht so einfach, Mo aufzutreiben«, sagte ich zu meiner Mutter. »Hast du irgend etwas Neues im Supermarkt gehört?«
Meine Mutter seufzte. »Die Leute reden nicht viel über Mo. Die Leute reden meistens über dich.«
Grandma manschte ihre Erbsen in den Kartoffelbrei. »Elsie Farnsworth hat gesagt, sie hätte Mo am Brathähnchenimbiß gesehen, als er sich gerade ein extrascharfes Schenkelchen bestellte. Und Marvis Rheinhardt hat gesagt, sie hätte Mo in Giovachinnis Laden gehen sehen. Binney Rice hat gesagt, Mo hätte vorgestern abend in ihr Schlafzimmerfenster geningelt. Wenn man bedenkt, daß Binney vor zwei Wochen noch rumerzählte, daß Donald Trump in ihr Fenster geguckt hat…«
Den Buttertoffee schlug Ranger aus, er wollte seinen Blutzuckerspiegel nicht aus dem Gleichgewicht bringen. Ich nahm mir zweimal von dem Buttertoffee, dazu noch Kaffee. Meine Bauchspeicheldrüse, hatte ich entschieden, sollte auf Hochtouren laufen. Wer wagt, gewinnt, lautete meine Devise.
Ich half den Tisch abräumen und brachte Ranger an die Tür, als sein Handy klingelte. Das Gespräch war nur kurz.
»Ich muß kurz rüber in eine Kneipe in der Stark Street«, sagte Ranger. »Hast du Lust, mit in meinen Überflieger zu steigen?«
Eine halbe Stunde später hielten wir mit dem Bronco vor Ed’s Place. Ed’s war typisch für die Stark Street, nur ein Raum, vorne mit ein paar angeschlagenen Resopaltischen, hinten, an der Rückwand, eine Bar. Die Luft war abgestanden und verraucht, es roch nach schalem Bier, ungewaschenen Haaren und kalten Pommes. Die Tische waren leer. Am Tresen stand eine Gruppe Männer,
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