Einsam, zweisam, dreisam
als er die Tür öffnet. Zum Glück hat er nicht vergessen, den alten blauen Cordmantel anzuziehen, denn wenn seine neuen Kleider auch so aussähen wie Gesicht und Haare, dann wären sie reif für den Müll. Er ist über und über bunt.
«Das muß so sein», sagt er, «paß auf, daß du nichts abkriegst.» Sie steht vor den neuen Bildern und zieht ihre Jacke aus. «Wo kommt das her?» fragt sie.
«Was?»
«Na, das hier. Die Formen und Farben. Schüttelst du die Welt durch und legst sie neu zusammen oder so was?»
«Weiß ich nicht. Ich male eben.»
Vorsichtig, daß ihre Finger nicht die nasse Farbe berühren, deutet sie auf verschiedene Stellen. «Ein Knochen …, ein Stein …, eine Schnecke. Erzählt das was?»
«Ich weiß nicht … Nein.»
Sig fühlt sich überfordert, wie immer, wenn er fürchtet, jemand wolle eine Erklärung von ihm … Man soll Bücher lesen, wenn man Worte will. Bilder sind Bilder.
«Ich weiß es nicht. Ich male eben. Du fragst einen Komponisten ja auch nicht, ob die Quinte Vatermord und die Terz Telefonzelle bedeutet. Man hört die Musik und geht eigene Wege. Schau die Bilder an und geh auch eigene Wege. Es wäre mir ein bißchen peinlich, eine Legende zu den Bildern finden zu wollen. Es sollen Bilder sein, keine Geschichten.»
Wie meist hei diesem Thema und wie immer, wenn Regina zuhört, hat er das Gefühl, sich zu verhaspeln, nicht klar genug sagen zu können, was er meint. Und wie immer, wenn er ernst wird, flapst sie dagegen: «Nicht daß ich etwa begreife, was du meinst, aber macht nichts. Die Bilder sind schön.»
Natürlich weiß sie, was er meint. Sie baggert einfach an dem schmalen Orchestergraben, den sie zwischen ihm und sich haben möchte. Eine armlange Distanz soll bleiben, und wenn sie sie künstlich erzeugen muß.
Bei Karin hätte Sig nach solch einem Wortwechsel schon längst eine grimmige Wut gehabt. Er hätte sie innerlich bezichtigt, zu faul zu sein, die Anstrengung, ihm zu folgen, nicht auf sich nehmen zu wollen. Regina verübelt er nicht, daß sie ihn eher verspotten als verstehen zu wollen scheint. Bisher ärgert ihn das nicht.
Er fühlt sich ihr sehr nah. Im Zimmer dämmert es wieder, und dieses pulverige Gefühl kribbelt unter seiner Gürtellinie.
«Ich begehre dich.»
«Heut nicht», sagt sie und legt einige Dinge, die sie aus ihrem Korb fischt, auf die freie Seite des Tisches.
«Fickpause.»
«Was?»
«F-hh-ick P-hh-ause», sagt sie mit theatralischer Stimme, «wegen Inflationsgefahr.»
«Du sagst aber auch jeden Tag was anderes.»
«Stimmt.»
«Außerdem dachte ich, das Wort sei verboten?»
«Stimmt.»
«Nur für mich?»
«Genau. Ich darf.»
Und irgendwie hat sie recht. Aus ihrem Mund ist das fröhlich und frech und klingt, wie es nie aus einem Männermund klänge. Verletzt ist er trotzdem. Warum immer diese Stegreifblamagen? Was hat sie davon, daß er ihr immer ins Messer laufen muß? Sie nutzt sein Vertrauen aus.
«Ach komm, sei nicht böse.» Sie fährt ihm mit dem Finger hinterm Ohr entlang. «Mein weiser Entschluß wird uns schon nicht schaden.»
Er fängt ihre Hand und küßt sie.
«Darf ich dich dann wenigstens zeichnen?»
«Ist das so was ähnliches für dich?»
«Könnte sein.»
«Dann muß ich mir das noch überlegen.»
Sie kocht Spaghetti. Alles dazu Nötige hat sie mitgebracht.
«Hast du die WG beklaut?»
«Ein bißchen. Die Spaghettis und die Tomaten gehören mir. Den Rest hab ich stibitzt oder ausgeliehen.»
«Verbrecherin.»
«Sei nicht so evangelisch. Ich hab’s doch für uns getan.»
Wenn er nicht bald ein Wachstuch für den Tisch besorgt, ist alles voller Farben. Er putzt den Tisch mit Terpentin. Sie hat sogar zwei Kerzen mitgebracht. Mit Ständern. Der gedeckte Tisch sieht richtig fein aus.
«Sogar eine Mistbude wie das hier wird zum Schloß, wenn du die Königin gibst», sagt Sig.
«Mach halblang, Kleiner», sagt sie im abgebrühtesten Reeperbahn-Ton.
Er muß lachen. «Hauptsache mir eine reingewürgt.»
«Right», sagt sie.
Nach dem Abwasch nimmt sie ein dickes Buch aus ihrem Korb. «Was ist das?» fragt Sig.
«Mein Lieblingsbuch. Ich les dir vor.»
Er legt sich auf die Matratze, und sie stellt beide Kerzen neben sich. Wein und Zigaretten in greifbare Nähe gerückt, fängt sie an zu lesen:
Es lag ein Bischof tot in einer Mur am Zederngebirge fünf Stunden schon unter strömenden Wolkenbrüchen. Die Mur war hinabgemalmt mit ihm und seinem Karren und seinen Maultieren und seiner Geliebten, unter ihm
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