Einsame Herzen
Punkt zwölf Uhr werde ich aufbrechen. Bis dahin möchte ich allein sein."
Danielle hatte sich in ihr Schlafzimmer zurückgezogen. Emma und Louise schliefen glücklicherweise noch immer im Wohnzimmer. Danielle wusste nicht, was sie getan hätte, wenn die Mädchen aufgewacht wären.
So aber legte sie sich in ihr Bett, vergrub den Kopf in ihrem Kissen und weinte bitterlich. Sie weinte um sich und die Mädchen, aber am meisten und vor allem um Darko.
Darko.
Was, wenn er nie mehr zurückkehren würde?
Sie wusste inzwischen, dass sie ihn nicht davon abhalten konnte, auf die Jagd zu gehen. Dafür war er viel zu entschlossen, viel zu stolz. Er hatte ihr ein Versprechen gegeben und er würde es halten. Danielle schlug die Hände über ihr Gesicht.
Nie, niemals hatte sie gedacht, dass es so weit kommen würde, als sie Darko gestern um seinen Schutz gebeten hatte. Nie hätte es um Leben und Tod gehen dürfen, doch genau darum ging es nun.
Danielle wünschte, der Felsenpfad wäre begehbar und sie könnten alle zusammen dem Feuerberg entfliehen. Oder wenn nur das Telefon funktionieren und sie Hilfe anfordern könnte! Doch wie sollte hier Hilfe eintreffen? Der Felsenpfad versank unter zwei Meter hohem Schnee, das hiess, man konnte den Feuerberg nicht verlassen und er war auch nicht zugänglich. Selbst wenn sie per Telefon Kontakt zur Aussenwelt hätte, würde ihr das also nichts nützen.
Als Danielle einmal mehr einen verzweifelten Blick auf ihre Armbanduhr warf, erkannte sie mit Schrecken, dass es bereits elf Uhr war.
Sie machte sich Vorwürfe, schwere Vorwürfe. Wenn sie nur auf ihre Eltern und oder ihre Schwester gehört hätte! Wenn sie nur auf Darko gehört hätte! Wenn sie dem Felsenberg bloss vor dem Schneefall den Rücken gekehrt hätte!
Sie war schuld an Darkos misslicher Lage, ihretwegen würde er sich in Lebensgefahr begeben. Wenn er nicht zurückkehren würde... Danielle war sicher, dass sie das nicht überleben würde.
Sie vernahm Schritte im Erdgeschoss, dann Kinderstimmen. Hastig setzte sie sich im Bett auf und wischte sich mit dem Arm über die Augen. Viel würde das nicht nützen, ihr rot verweintes Gesicht konnte sie vor den Kindern nicht verstecken. Sie würde ihnen irgendeine Lügengeschichte auftischen, würde ihnen von einem verwundeten Reh erzählen, dass sie auf ihrem Morgenspaziergang entdeckt hatte, ein Reh, für welches jede Rettung zu spät gekommen war. Die Kinder würden verstehen, dass sie deswegen geweint hätte. Wie sie selbst waren Emma und Louise mit vegetarischem Essen gross geworden. Den Respekt vor Tieren hatte Danielle ihnen von Kindesbeinen an eingetrichtert.
Dies war der erste Winter im Leben ihrer Töchter, in dem sie aus einer Notwendigkeit heraus Fleisch assen, um überleben zu können. Sie alle nahmen aber so wenig Wild wie möglich zu sich, was dank Darkos grossem Vorrat an Konservendosen, Mehl, Zucker und Kartoffeln möglich war.
Danielle stieg aus dem Bett und schleppte sich mühsam aus ihrem Zimmer. Gebeugt wie eine alte Frau ging sie an Darkos verschlossener Zimmertür vorbei und stieg ins Erdgeschoss.
"Mama!", riefen die Mädchen gleichzeitig aus, als sie zu ihnen in die Küche trat. Die beiden waren gerade dabei, den Tisch fürs Frühstück zu decken.
"Mama, wir haben verschlafen!", rief Emma aus. Dann verstummte sie und musterte Danielle erschrocken.
"Ma, was ist passiert? Warum hast du geweint?"
Danielle erzählte ihren Töchtern hastig die Rehgeschichte. Sobald sie geendet hatte, half sie ihren Töchtern, den Tisch zu decken. Diese banale Beschäftigung half ihr, für wenige Minuten an etwas Anderes zu denken, als an das bevorstehende, schreckliche Ereignis. Noch immer im Pyjama setzte sie sich mit Emma und Louise an den Frühstückstisch. Die beiden amüsierten sich darüber, dass sie mitten unter der Woche bis um elf Uhr geschlafen und so die "Schule" verschlafen hatten.
Während die Kinder ausgiebig frühstückten, starrt Danielle nur in ihren Schwarztee.
"Mama, willst du nichts essen?", fragte Emma aufmerksam.
"Nein, sie ist noch traurig wegen dem Reh, nicht wahr, Ma?"
Danielle nickte nur, ohne den Blick von ihrer Tasse zu heben. Sie zuckte zusammen, als Emma ihr in einer tröstenden Geste über den Rücken strich und zwang sich zu einem sanften Lächeln.
Danielle war erleichtert, als die Kinder sich wieder dem Essen zuwandten, sich zusammen unterhielten und ihre niedergeschlagene Mutter fürs Erste vergassen.
Als die Kinder den Tisch abräumten, warf sie einen Blick auf
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