Einsame Herzen
gänzlich auf sich selbst eingestellt. Vielleicht hatte Darko eine seiner Waffen zurück gelassen? Danielle malte sich aus, wie sie in Darkos Zimmer hasten, es nach seinem Revolver durchsuchen und den Zwilling empfangen würde, den Lauf der Waffe auf ihn gerichtet. Ihr Plan klang unter den gegebenen Umständen vernünftig, doch er liess sich nicht realisieren. Danielles Füsse liessen sich nicht bewegen, ihr Körper war noch immer zu einer leblosen Statue erstarrt.
Beweg dich, nun mach schon, forderte sie sich selbst stumm auf, aber es war vergebens. Angst hielt sie so eisern umklammert, dass sie ihrem Griff nicht entweichen konnte.
Der zweite Zwilling befand sich nun auf der Höhe ihres Gartens. Nur noch wenige Schritte trennten ihn vom Gartentor. Entschlossen stapfte er vorwärts, in grossen, eiligen Schritten. Danielle hielt den Atem an.
Er hatte ihr Gartentor erreicht. Danielle schloss die Augen. Sekunden verstrichen, ehe sie die Augen wieder aufschlug. Und erstarrte. Der Zwilling befand sich nicht etwa wie angenommen auf dem Weg zu ihrer Haustür, sondern pflügte sich weiter durch den Schnee und steuerte geradewegs auf den Wald zu.
Ein Schrei entrang sich Danielles Kehle. Sie keuchte Darkos Name. Ein Hinterhalt! Er war in einen Hinterhalt geraten!
"Nein", stöhnte Danielle schockiert auf. "Darko, nein!"
Was nun? Was konnte sie tun? Was konnte sie tun um ihn zu warnen, um ihn wissen zu lassen, dass er es nicht bloss mit einem Zwilling zu tun hatte, sondern ihm der zweite im Nacken sass, bereit, von hinten auf ihn zu zielen und ihm feige und kaltblütig in den Rücken zu schiessen?
Das Einzige, was sie hätte tun können, war eine Waffe von Darko zu suchen und dem zweiten Zwilling zu folgen, hinter ihm herschleichen, bereit, ihn zu erledigen. Aber sie hatte noch nie auch nur eine Waffe angefasst! Sie hatte keine Ahnung, wie so ein Ding funktionierte. Selbst wenn sie es gewusst hätte, sie hätte das Haus nicht verlassen. Sie hätte die Mädchen nicht allein zurückgelassen.
Mit einem Schluchzer liess sich Danielle zu Boden sinken. Darko war in einen Hinterhalt gelockt worden. Er würde nicht zurückkehren und sie würde auf dem Feuerberg ganz auf sich selbst gestellt sein.
Alles, was Danielle tat, geschah ausdruckslos und apathisch. Sie duschte, zog sich eine frische Jeans und einen weichen Wollpullover an. Sie beschäftigte die Kinder mit Rechenaufgaben, während sie selbst bewegungslos auf der Couch sass, abwartete, wartete und wartete. Die Zeit schien nicht zu vergehen, selbst die Sekunden schienen nicht zu verstreichen. Danielle hatte Emma und Louise aufgetragen, in ihren Schlafzimmern zu arbeiten, so dass sie das Wohnzimmer für sich allein hatte. So dass sie allein Löcher in die Luft starren konnte. Sie dachte an nichts, sass nur versteinert auf der Couch. Sie hatte die Beine an den Körper gezogen und umschlang ihre Knie, hielt sich eng umschlungen, als ob sie friere. Inzwischen machte sie sich nicht einmal mehr Vorwürfe. Ihr Verstand war wie leergefegt. Sie konnte keinen Gedanken mehr fassen.
Obwohl sie den Eindruck hatte, die Zeit stehe still, verstrich sie doch. Es wurde ein Uhr, zwei Uhr, dann drei Uhr. Die Kinder kamen ab und zu hinunter, um sie etwas zu fragen oder ihr die Aufgaben zu zeigen. Danielle erklärte, sie werde die Aufgaben später korrigieren und befahl ihren Töchter jedes Mal, weiterzumachen, noch mehr Rechenaufgaben zu lösen. Emma und Louise gingen jeweils murrend davon. Sie spürten, dass mit ihrer Mutter etwas nicht stimmte, konnten jedoch nicht sagen, was es war und ärgerten sich darüber, dass Danielle ihre schlechte Laune an ihnen ausliess und sie mit Rechenaufgaben bestrafte.
Um drei Uhr meinte Danielle, das Warten keine Sekunde länger aushalten zu können. Sie sprang von der Couch, flog ans Fenster, presste Handflächen und Stirn gegen das kühle Glas. Darko, Darko, flehte sie lautlos. Oh, Darko!
Und dann sah sie etwas. In weiter Ferne konnte sie einen Punkt ausmachen, einen sich bewegenden Punkt, der aus dem Wald kam. Ein Punkt, der kaum vorankam, nur langsam Gestalt annahm, fast nicht grösser wurde.
Danielles Herz raste. Vor Nervosität traten ihr Schweissperlen auf die Stirn. Angestrengt kniff sie die Augen zusammen. Wer war das? Wer kehrte da aus dem Wald zurück? So sehr sie sich auch anstrengte, sie konnte nicht erkennen, um wen es sich handelte. Nur eines liess sich mit Sicherheit sagen: Wer immer da zurückkehrte, war verletzt. Das erkannte Danielle an dem
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