Einsame Spur (German Edition)
später in der Bibliothek, wo seine Gefährtin auf ein Blatt Formeln niederschrieb, die ihm beim bloßen Ansehen Kopfschmerzen bereiteten. Auf mehreren großen Datenpads waren physikalische und mathematische Bücher geladen, und auf einem kleinen Computer liefen komplizierte Rechenoperationen.
Er stellte sich hinter sie, stützte sich mit den Händen auf den Tisch und küsste die empfindliche Stelle hinter ihrem Ohr. Ihr würziger Herbstduft beruhigte und belebte seinen Wolf zugleich. »Mrs Sienna Lauren Snow«, neckte er sie, »wozu brauchst du etwas so Altertümliches wie Papier?«
25
Ihre Wangen färbten sich rosig. »So kann ich besser denken.«
Er lachte auf, er durfte nicht vergessen, ihr den Block zu besorgen, den er in dem kleinen Laden neben dem Geschäft gesehen hatte, in dem er die mechanischen Spieluhren kaufte – wenn er sich recht erinnerte, war er genau das Richtige für die Berechnungen, die sie gerade anstellte. »Wie lange hast du noch zu tun?« Sie arbeitete an einem Sonderprojekt, um schneller in einen Fortgeschrittenenkurs über Thermodynamik zu kommen.
Sienna war zwar nicht sicher, ob der Lehrstoff in diesem Kurs ihr helfen würde, das kalte Feuer in ihr zu verstehen, aber schaden konnte es auch nicht. Wissen gab ihr die Kraft und Sicherheit, die ihr so oft im Leben genommen worden war.
»Noch ein paar Stunden«, sagte sie und hob den Kopf, ihr Haar streifte sein Hemd. »Ich kann aber später weitermachen, eine Pause wird mir sicher guttun.«
Er tippte mit dem Finger auf ihre Nase. »Dann komm. Ich bin auf dem Weg zu Lucas – und du kannst Sascha besuchen.«
»Großartig! Das letzte Mal habe ich Naya ein paar Tage vor dem Fest im Arm gehalten.« Schnell schob Sienna die Datenpads in ihr Fach, räumte dann den Rest zusammen und brachte Computer und Papiere in dem angrenzenden Schrank unter. »Ich bin bereit.«
Auf halbem Weg zur Garage rannte Toby auf sie zu, einen kleinen Rucksack über der knochigen Schulter. »Fahrt ihr weg? Kann ich mitkommen?«, fragte er und strich sich ein paar imaginäre lange Haarsträhnen zurück. Macht der Gewohnheit, dachte Hawke, und der Wolf in ihm grinste bei dem Gedanken an den Haarschnitt, den er dem Jungen verpasst hatte.
Sienna strich Tobys Hemdkragen glatt. »Alle Küchenarbeiten erledigt?«
»Allerdings«, antwortete Hawke, als Toby grinste. »Hat mir vor Kurzem Essen gebracht.«
»Und ich habe auch bereits meine Hausaufgaben gemacht«, fügte der Junge hinzu und bekam die Erlaubnis, sie zu begleiten. Mit einem Lächeln schloss er sich ihnen an. »Heute war die Schule früh aus, und morgen fangen wir erst um zehn an, weil wir Abendunterricht haben.« Toby zitterte fast vor Aufregung. »Elias und Sam wollen uns beibringen, wie man im Dunkeln Spuren liest. Dazu muss es ganz still sein, und deshalb findet es sehr spät statt.«
Hawke konnte sich aus der eigenen Jugend noch gut an diesen Unterricht erinnern … denn sein Vater war einer der Lehrer gewesen. Er sah Tobys eifrigen Gesichtsausdruck und konnte es kaum fassen, dass er selbst jemals so jung gewesen sein sollte, doch sein Wolf wusste noch genau, wie sie durch den nächtlichen Wald gestrichen waren und versucht hatten, ganz leise zu sein. Er war stolz darauf, dass die Wolfsjungen trotz allem, was später geschehen war, noch immer Kinder sein durften, die spielen und lernen konnten.
»Wo fahren wir hin?«, fragte Toby, nachdem er ihnen alles über Elias’ und Sams Pläne erzählt hatte.
»Wir besuchen Sascha.«
»Großartig!« Toby krabbelte aufgeregt auf den Rücksitz des Geländewagens, als sie die Garage erreicht hatten. Obwohl er ein fabelhafter Junge war, machte sich Hawke wegen seines guten Benehmens Sorgen. Der Junge hatte sich noch niemals Ärger eingehandelt – was bei einem Wolfsjungen in seinem Alter ungewöhnlich war. Vielleicht traute sich Toby nicht, etwas anzustellen, aus Angst, die Leute, die er liebte, könnten sich dann von ihm abwenden – wie seine Mutter mit ihrem Selbstmord.
Hawke hatte mit Judd und Walker darüber gesprochen, ebenso mit Sienna, und sie wachten alle still über den Jungen. Doch Sascha – die viel Zeit mit Toby verbrachte, um ihn den Umgang mit seinen empathischen Fähigkeiten zu lehren – hatte Hawke gesagt, er solle sich keine Sorgen machen. »Der Junge ruht in sich und ist glücklich. Wenn ihr mich als Maßstab für die Entwicklung eines Empathen nehmt, kann ich euch sagen, dass ihr Ärger mit ihm bekommt, sobald er fünfzehn ist. Damals habe
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