Einsamen
Aktionismus. Er versuchte die Situation zu analysieren, trat erneut gegen die Tonnen und wechselte einzelne Worte mit Rickard, der ihm bei seiner Wanderung zwischen den vier kahlen Wänden teilweise folgte. Aber meistens saß er neben Anna. Tomas war der Anführer, Tomas war derjenige, der diese Reise organisiert hatte, und wenn jemand sie hier aus der Klemme holen konnte, dann war er es. Gunilla wusste, dass er so dachte, und während sie versuchte, ihre eigene Angst zu bekämpfen, hatte sie trotz allem das Empfinden, dass es etwas kindisch war. Etwas pfadfinderhaft.
Sie rutschte näher zu Anna. Schob wieder die Hand auf die Brust und fing erneut an, ihre Herzschläge zu zählen.
Besonders weit kam sie nicht. Plötzlich waren die Männer zurück.
Dieses Mal waren es nur zwei. Der Anführer und einer der anderen, nicht der jüngste. Der andere verschloss die Tür und stellte sich dann als Wache daneben. Breitbeinig, mit wachsamem Blick. Die Waffe bereit. Der Anführer befahl Tomas und Rickard mit Gesten, sich zu setzen. Maria richtete sich auf. Der Anführer zündete eine Zigarette an, bevor er etwas sagte.
»Woman«, sagte er.
Er verzog nicht eine Miene. Zog an seiner Zigarette.
»One woman, one hour. You choose.«
Er zeigte mit seiner Waffe der Reihe nach auf Anna, Gunilla und Maria.
»One woman, one hour. Then free.«
»Then free«, wiederholte er.
Es dauerte einige Sekunden, bis Gunilla verstand, was er meinte. Den anderen ging es offenbar genauso. Anna schnappte nach Luft, Tomas fluchte vor sich hin. Rickard und Maria saßen stumm da, nur Germund gelang es, einen Kommentar herauszuquetschen.
»No«, sagte er einfach. »No way.«
Der Anführer kümmerte sich gar nicht um ihn. Wiederholte seinen Befehl.
»One woman, one hour. Then free. If not …«
Er hob seine Waffe und fegte mit ihr über die Gruppe. Um seinen Wortschatz nicht weiter strapazieren zu müssen.
»One woman. You choose.«
Er schaute auf seine Armbanduhr.
»Back in fifteen minutes. One woman with me.«
Damit wurden sie wieder allein gelassen.
III
42
D er Anruf erreichte ihn genau um 13.30 Uhr. Er stellte fest, dass er die Zeit registriert hatte, als er zuhörte, und hinterher fragte er sich, wieso. Warum um alles in der Welt?
Es dauerte auch eine Weile, bis er begriff, worum es ging.
»Spreche ich mit Gunnar Barbarotti?«, wollte eine helle Frauenstimme wissen.
»Ja, das bin ich.«
»Entschuldigen Sie, aber ich rufe vom Krankenhaus an.«
»Ja?«
»Marianne Grimberg, das ist doch Ihre Frau, oder?«
»Ja … ja, natürlich.«
»Und sie arbeitet an der Frauenklinik hier im Krankenhaus?«
»Ja. Worum geht es denn?«
»Es hat sich ein Unfall ereignet.«
»Ein Unfall?«
»Ja. Aber ihr Zustand ist stabil. Sie ist auf dem Weg ins Sahlgrenska in Göteborg.«
»Was?«
»Sie hatte einen kleinen Unfall. Sie wird im Sahlgrenska Krankenhaus operiert.«
»Im Sahlgrenska?«
»Ja.«
»Sie wird oper … Was reden Sie denn da? Was ist denn passiert?«
»Sie hat das Bewusstsein verloren. Aber Sie brauchen sich nicht zu beunruhigen, ihr Zustand ist stabil. Sicherheitshalber sollen die Neurochirurgen im Sahlgrenska sich darum kümmern. Wir haben keine derartige Spezialklinik hier in Kymlinge. Vermutlich handelt es sich um eine kleinere Gehirnblutung.«
»Eine Blutung … eine Gehirnblutung?«
Plötzlich spürte er, wie er keine Luft mehr kriegte. Das
T-Shirt, das er unter dem Hemd trug, saß viel zu eng. Er packte es mit seiner freien Hand am Halsausschnitt und zog es herunter, dass es knackte.
«Ja. Sie haben hier im Krankenhaus ein CT gemacht, und Doktor Berngren hat entschieden, dass sie operiert werden muss. Aber Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, es wird sich sehr wahrscheinlich um eine Bagatelle handeln. Sie ist jetzt auf dem Weg dorthin.«
»Warten Sie … ich meine, wann ist das passiert?«
»Vor ungefähr zwei Stunden. In der Frauenklinik, in der sie arbeitet. Sie hat das Bewusstsein verloren und …«
»Vor zwei Stunden? Warum haben Sie mich nicht früher angerufen?«
Die helle Frauenstimme wurde etwas resoluter.
»Wir haben uns zuerst um die Patientin gekümmert. Das ist so üblich hier. Wir haben schon vor einer Weile versucht, Sie zu erreichen, aber es ist niemand rangegangen.«
Gunnar Barbarotti wurde bewusst, dass er sein Handy in seinem Büro hatte liegen lassen, während er bei Eva Backman gewesen war und mit ihr gesprochen hatte. Einige Sekunden lang schwieg er. Sein Kopf fühlte sich wie ein
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