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Einsamen

Einsamen

Titel: Einsamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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aber bald, dass sein Mund so trocken war, dass ein Glas Wasser vermutlich nicht geschadet hätte.
    »Meine Frau«, sagte er. »Wie geht es ihr?«
    Der Arzt schlug ein Bein über das andere und räusperte sich.
    »Den Umständen entsprechend gut, wie ich denke. Aber es ist noch zu früh, etwas Genaueres zu sagen. Ich werde versuchen, Sie auf den aktuellen Stand zu bringen.«
    »Bitte«, sagte Barbarotti. »Tun Sie das.«
    »Es handelt sich wahrscheinlich um eine kleinere Blutung im Gehirn. Klein, aber ernst zu nehmen. Wir haben hier im Krankenhaus ein sogenanntes Hirn-CT gemacht und beschlossen, dass operiert werden muss. Vermutlich muss das Blut, das ausgeflossen ist, entfernt werden. Um diesen Eingriff auszuführen, wird ein Neurochirurg benötigt, und die gibt es nur in den größten Krankenhäusern. Deshalb haben wir sie ins Sahlgrenska geschickt.«
    »Klein, aber ernst zu nehmen?«, wiederholte Barbarotti mechanisch und merkte, dass er seinen eigenen Puls in den Schläfen hören konnte. Ich werde auch noch vom Schlag getroffen, dachte er.
    »Ja. Wir glauben, dass eine kleinere Ader geplatzt ist. Ein Aneurysma. Das kann jedem jederzeit passieren. Natürlich sind ältere Menschen häufiger davon betroffen, aber es kommt in jedem Alter vor.«
    »Sie ist fünfundvierzig«, sagte Barbarotti.
    »Ich weiß«, sagte Doktor Berngren.
    »Ich möchte hinfahren«, sagte Barbarotti. »Ich muss bei ihr sein.«
    »Sie können sofort fahren«, erklärte Doktor Berngren. »Aber es hat keinen Sinn, etwas zu überstürzen. Bis zur Operation liegt sie im künstlichen Koma und wird beatmet. Es geht darum, das Gehirn zu schonen, um den Zustand nicht zu verschlimmern. Wie sieht es aus, wollen Sie die Kinder mitnehmen? Soweit ich gehört habe, haben Sie einige …«
    »Die bleiben erst einmal zu Hause«, sagte Barbarotti. »Meine älteste Tochter kümmert sich um sie. Sie ist zweiundzwanzig, das haben wir schon abgesprochen. Oder … oder was meinen Sie?«
    »Genau richtig«, sagte Doktor Berngren. »Meistens ist es besser, wenn die Angehörigen erst kommen, nachdem die Patientin aufgewacht ist. Möglicherweise schickt Göteborg sie auch schon morgen wieder zu uns zurück, das liegt an ihrer Verfassung. Aber das müssen Sie natürlich selbst entscheiden.«
    »Natürlich«, sagte Barbarotti.
    »Hier haben Sie eine Kontaktperson.« Berngren überreichte ihm ein zusammengefaltetes Papier. »Wenden Sie sich an sie, wenn Sie im Sahlgrenska ankommen. In der neurochirurgischen Klinik, wie gesagt. Da steht auch eine Telefonnummer.«
    Barbarotti nahm das Papier entgegen und schob es in die Brusttasche. »Danke«, sagte er. »Sie haben … Sie haben sonst nichts mehr dazu zu sagen?«
    »In den meisten Fällen behalten die Patienten nur kleine oder gar keine Folgeschäden zurück«, sagte Doktor Berngren. »Besonders, wenn man jung ist und es sich nur um eine kleine Blutung handelt. Aber es ist natürlich etwas Ernstes, und ich kann Ihnen keine Prognose geben. Wir haben sie weitergeschickt, aber das tun wir immer in so einem Fall. Schwester Jeanette hilft Ihnen, einen Wagen zu finden.«
    »Danke …«, sagte Gunnar Barbarotti. »Vielen, vielen Dank.«
    Wofür bedanke ich mich eigentlich?, dachte er. Wenn sie sie vielleicht doch nicht wieder hinkriegen?
    Die Taxifahrt vom Kymlinger Krankenhaus zum Sahlgrenska in Göteborg dauerte knapp anderthalb Stunden, und es war die längste Fahrt, die er in seinem Leben gemacht hatte.
    Er saß auf dem Rücksitz hinter dem Fahrer, um jedem Augenkontakt aus dem Weg zu gehen. Noch bevor sie den Rocksta-Kreisverkehr passiert hatten, war ihm ein Bibelwort in den Sinn gekommen. Es legte sich wie Balsam über den Mückenschwarm panischer Gedanken, und er versuchte, es zu fassen.
    Inmitten des Lebens sind wir vom Tod umfangen. In deinen besten Tagen gehst du Hand in Hand mit dem Engel des Todes. Doch fürchte dich nicht.
    Er konnte sich nicht erinnern, woher das stammte, und war sich nicht sicher, ob es wörtlich so richtig war. Außerdem erschien es auch nicht besonders tröstlich, vielleicht stammte es vom Prediger Salomon. Marianne hatte aus irgendeinem Grund eine Vorliebe für diesen düsteren Propheten, und während er hier saß und versuchte, irgendeine Form von Kontrolle über das Dasein zu erlangen, dachte er, dass es genau so war, wie sie immer sagte.
    Das Leben findet hier und jetzt statt. Wir müssen es nehmen, wie es kommt. Der Tod ist unser nächster Nachbar, in der einen Sekunde leben wir, in der anderen

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