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Einsamen

Einsamen

Titel: Einsamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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fungierte es eher als Ruhe- denn als Arbeitsraum, das hatte er schon häufiger gedacht. Wenn man vier Teenager im Haus hat, dann braucht man das. Auch wenn sie Schwedens Zukunft
sind.
    »Liegt es am Job oder an uns?«, fragte Marianne.
    »An uns kann es nicht liegen, also muss es der Job sein«, sagte Barbarotti.
    »Bist du dir sicher?«, fragte Marianne nach. »Wir haben die Verantwortung für vier Kinder übernommen, es wäre etwas dumm, wenn wir jetzt kalte Füße bekämen.«
    »Bist du nicht ganz bei Sinnen?«, empörte Barbarotti sich. »Wer hat davon geredet, abzuspringen? Ich habe nur gesagt, dass es irgendwie in meiner Seele juckt und dass es höchstwahrscheinlich mit dem Job zu tun hat. Ich liebe dich mehr als je zuvor.«
    »Gut«, nickte Marianne. »Ich liebe dich auch. Und die Seele muss man zähmen, ich glaube, es ist ganz gut, sich gegenseitig daran zu erinnern, wenn die Müdigkeit die Oberhand gewinnt. Was ist es, was dich bei deiner Arbeit quält?«
    »Ich weiß es nicht so recht«, sagte Barbarotti. »Aber ich nehme an, dieser Herr, der tot in der Gänseschlucht lag. Zumindest beschäftigt er mich.«
    »Das ist Sonntag passiert, nicht wahr?«
    »Genau genommen ist es Samstag passiert. Aber man hat ihn am Sonntag gefunden.«
    »Ach so. Und warum kriegst du davon ein Jucken?«
    »Schwer zu sagen«, meinte Barbarotti. »Eva Backman behauptet, dass dahinter überhaupt kein Verbrechen steckt, und sie hat eigentlich meistens Recht. Aber ich habe ein ganz anderes Gefühl.«
    »Vor langer Zeit ist an derselben Stelle schon einmal etwas passiert, nicht wahr?«
    »Ja«, seufzte Barbarotti. »Eine Frau ist dort 1975 gestorben. Und der Mann, der jetzt dort gefunden wurde, war damals ihr Lebensgefährte.«
    »Was sagst du da?«, rief Marianne, und er stellte fest, wie ungewöhnlich es war, dass er bisher mit ihr nicht darüber gesprochen hatte. Aber sie hatten sich seit Sonntag kaum gesehen, sie hatte die Nacht von Montag auf Dienstag gearbeitet.
    »Ja«, sagte er. »Eine junge Frau von fünfundzwanzig Jahren ist dort hinuntergestürzt … das ist übrigens ein alter Todesfelsen, auch wenn Backman behauptet, dass es nie Todesfelsen gegeben hat. Sie hieß übrigens Maria Winckler. Und fünfunddreißig Jahre später geht ihr Lebensgefährte, inzwischen gut sechzig, dorthin und stürzt an derselben Stelle ab. Germund Grooth.«
    Es vergingen einige Sekunden, bis er begriff, dass etwas nicht stimmte. Marianne hatte auf dem Rand seines Schreibtischs gesessen, jetzt stand sie auf und blieb stehen, eine Hand in einer merkwürdigen, wie eingefrorenen Geste erhoben, die er nicht deuten konnte. Sie starrte ihn an, nein, nicht ihn, sondern die Wand hinter ihm, das Piranesiplakat, das sie in Prag gekauft hatten, oder vielleicht auch nur die Tapete neben dem Plakat, und ihr Blick drückte für einige Sekunden nichts anderes aus als – nichts. Oder vielleicht hochgradige Verwirrung.
    Dann kam sie wieder zu sich. Fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar und richtete sich auf.
    »Geh bitte runter und hol eine Flasche Wein«, sagte sie. »Ich glaube, wir müssen darüber reden.«
    »Was … was zum Teufel meinst du?«, fragte Gunnar Barbarotti.
    Sie räusperte sich. »Ich meine, dass ich sehr gut weiß, wer Germund Grooth ist … oder war , sollte ich wohl besser sagen.«
    »Wie kannst du …?«
    »Einen von den italienischen. Mein Gott, nun mach schon.«
    Gunnar Barbarotti sprang auf und dachte, dass dieses Jucken in etwas anderes übergegangen war. Aber er konnte nicht sagen, in was.

21
    A m nächsten Morgen stellte sie ihn zur Rede. Versuchte es zumindest.
    Sie mit der ganzen Meute allein zu lassen? Einfach mit Germund wegzugehen und auf die Verantwortung als Gastgeber zu pfeifen? Was war das denn für ein unsolidarisches Verhalten? Was sollte das?
    »Er brauchte das«, erwiderte Tomas.
    »Er brauchte das?«
    »Ja. Es tut mir leid, aber du musst mir einfach glauben.«
    »Dann steht also Germunds Bedürfnis über allem?«
    »So wie die Lage gestern war, ja. Ich hatte keine andere Wahl.«
    »Wieso? Wieso hattest du keine andere Wahl?«
    Tomas stützte seinen Kopf auf die Hände und betrachtete sie über den Küchentisch hinweg. Es war Viertel vor zehn in der Früh, sie dachte, dass er müde aussah, aber nicht so, als hätte er einen Kater. Auch nicht reumütig, wie sie fast erwartet hatte. Stattdessen saß er da und rang mit sich, das war ziemlich offensichtlich. Ob er es ihr erzählen sollte oder nicht. Sie schenkte mehr Kaffee

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