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Einsamen

Einsamen

Titel: Einsamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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Mariannes Sterbebett sitzen, biss sich in ihm fest. Oder sie an seinem.
    Wann?, dachte er. Wie viele Jahre haben wir noch zusammen? Dreißig? Zehn? Drei? Warum achten wir nicht besser die Tage, die einfach so verrinnen?
    Warum werde ich eifersüchtig auf einen ihrer Ehemaligen, der außerdem noch tot ist, und werde ich mich nicht eines Tages verfluchen, weil ich es nicht verstanden habe, mein Leben zu leben, während es ablief?
    Nun ja, stellte er fest, als er tropfnass ins Foyer des Polizeigebäudes trat. Ich stelle zumindest Fragen. Was nicht ganz unwichtig ist.
    Und außerdem haben wir fünf Kinder, das ist das Wichtigste.

27
    1 1. Oktober, morgens. Sie wachte auf und wusste, dass etwas passiert war.
    Sie trug den Tod in sich. Nicht das Leben. Vorsichtig ließ sie die Finger über die angespannte Bauchhaut gleiten. Spürte die Kälte von innen. Die Kälte und das Schweigen.
    Und den Tod. Verschränkte die Hände über dem Bauchnabel, starrte in die Dunkelheit. Nicht der Hauch einer Dämmerung. Nicht der Hauch von Hoffnung.
    Sie schaute auf die selbstleuchtende Ziffernscheibe des Weckers. Viertel nach fünf.
    Schaute auf Tomas, der an ihrer Seite tief schlief. Nur eine dunkle Kontur in der Dunkelheit.
    Konnte die Zunge vom Gaumen lösen, an dem sie geklebt hatte. Sie musste lange dagelegen und mit offenem Mund geatmet haben.
    Dann schrie sie.
    Sie gebar ihr totes Kind. Es war ein Mädchen, dieses Mal hatten sie nicht einmal einen Namen für sie gehabt. Sie wog 2960 Gramm, die Ärzte hatten keine Erklärung dafür, warum sie nur wenige Wochen, bevor sie zur Welt hatte kommen sollen, aufgehört hatte zu leben. Irgendeine Form von Sauerstoffmangel, nahm man an. Ein reiner Unfall, abgesehen von der Tatsache, dass sie tot war, war alles in Ordnung.
    Sie wurde am 13. Oktober begraben. Bekam auf dem Berthåga Friedhof ein eigenes kleines Kreuz mit einer Metallplatte und schließlich auch einen Namen. Aurora. Das bedeutete Morgenröte.
    Geboren am 11. Oktober 1971. Gestorben am 11. Oktober 1971. Ein Pfarrer namens Holger Eriksson richtete die Feier aus, nur Tomas und Gunilla waren anwesend.
    Und Aurora.
    Hinterher fuhren sie direkt nach Ulleråker.
    Das war so abgemacht.
    Es regnete.
    Von ihrem Bett aus ganz oben in dem hohen, schmalen Gebäude konnte sie die Baumwipfel sehen. Hohe, schlanke Tannen mit grünen, würdevollen Kronen. Der Himmel dahinter war meistens unruhig, es war Herbst.
    Stundenlang lag sie da und betrachtete diese Baumkronen, diesen Himmel. Tage und Wochen. Sie wünschte sich, sie wäre zusammen mit ihrer Tochter gestorben. Sie hatte auch dafür gebetet, aber sie hatten es ihr nicht erlaubt.
    Tomas nicht und auch nicht die Ärzte.
    Ich bin zweiundzwanzig Jahre alt, dachte sie. Ich habe bereits zwei Kinder verloren, begreifen sie denn nicht, dass der Tod meine Berufung ist? Warum halten sie mich auf diese sinnlose Art und Weise zurück?
    Tomas besuchte sie jeden Tag. Oft stundenlang, obwohl sie sagte, sie wolle allein sein.
    Allein mit ihrer einschläfernden Medizin und ihren Baumkronen. Ihrem unruhigen Himmel.
    Er war hartnäckig.
    Es wurde November. Andere kamen auch zu Besuch. Anna und Rickard. Germund, aber nicht Maria. Sie wussten nicht, was sie zu ihr sagen sollten, es war ihnen peinlich, und sie blieben nicht lange.
    Sogar ihre Mutter und ihre Schwester besuchten sie. Sie blieben drei Stunden und weinten die ganze Zeit. Alle beide. Sie sagten, dass sie sich jetzt mit ihr versöhnt hätten und dass sie sie liebten.
    Schließlich kam Doktor Werngren. Er trug immer noch jedes Mal, wenn sie sich trafen, Polohemden, aber nie mehr ein gelbes. Meistens ein schwarzes oder ein tief dunkelblaues. Einmal die Woche kam er, manchmal auch zweimal. Sie gingen über den Hügel spazieren, immer längere Wanderungen in der zunehmenden Herbstdunkelheit. Ihr gefiel die Dunkelheit. Im Dezember schloss Tomas sich ihnen an.
    Zu Weihnachten fuhr sie heim in die Sibyllegatan und schlief zwei Nächte dort.
    Ende Januar wurde sie entlassen und fuhr endgültig nach Hause.
    In ein dickes schwarzes Notizbuch hatte sie während der drei Monate ihre Gedanken aufgeschrieben. Sie verbrannten es gemeinsam in einer Dose mit Benzin auf dem Balkon.
    Sie nahm zwei verschiedene Sorten Medizin. Zwei weiße Pillen morgens und abends, eine rote abends.
    Tomas sagte, dass er sie liebe.
    Sie sagte, dass sie ein starkes Bedürfnis habe, allein zu sein. Es war jetzt das Jahr 1972.

28
    E va Backman beschloss, mit dem Wagen nach Lund

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