Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Titel: Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
Vom Netzwerk:
geringe Minderheit
seiner Kundinnen hatte je Wert darauf gelegt, daß er selbst zum Höhepunkt kam.
Julia hingegen fühlte sich um das Finale ihrer Choreographie betrogen. Der Typ
hatte es ihr ansonsten großartig besorgt, besser sogar als Mark und Ansgar.
    »Bitte!«
    »Tut mir leid, wenn ich die Anforderungen, die Sie an mich stellen,
nicht erfüllen kann. Ich werde der Agentur sagen, daß ein Mißverständnis
vorliegt. Ihr Geld können Sie behalten. Sie sollen nichts Falsches von mir
denken oder annehmen, daß es an Ihnen liegt. Offen gestanden: Sie haben einen
wundervollen Körper, und ich hätte nichts dagegen, unter normalen Umständen, in
Sie zu kommen, egal, wohin Sie es haben wollen. Aber meine Freundin vertraut
mir und ich möchte die Vereinbarung, die zwischen uns existiert, nicht brechen.
Mein Job stellt ohnehin eine seelische Belastung dar, die ganz wenige Mädchen
auf sich nehmen würden. Das zu respektieren ist eine Sache des Anstands.«
    Julia war zornig, beleidigt, aber doch auch beeindruckt. Dieser
Vincent mußte ein Alien sein oder verrückt oder abartig, er konnte auf keinen
Fall ein männliches Exemplar der Spezies Homo Sapiens sein, das war so gut wie
auszuschließen.
    »Was, wenn ich Ihnen das doppelte Honorar zahle?«
    »Glauben Sie wirklich, das sei eine Frage des Geldes?«
    »Alles ist eine Frage des Geldes. Wenn ich Ihnen tausend Euro auf
den Tisch lege, machen Sie, was ich will.«
    »Sie haben teilweise recht. Alles ist eine Frage des Preises. Wenn
Sie mir eine Million oder auch nur eine halbe Million auf den Tisch legen
würden, täte ich sofort, was Sie verlangen. Wir könnten von diesem Geld ein
Leben lang sorgenfrei existieren, ich würde meiner Freundin die besonderen
Umstände schildern, würde sie um Verzeihung bitten, sie würde mir auch sicher
verzeihen und verstehen, daß ich nur in unserem Sinn gehandelt habe. Aber Sie,
sofern ich spekulieren darf, haben keine Million, auch keine halbe, und wenn
doch, dann würden Sie sie nicht in so etwas investieren, denn dazu bedeutet
diese Sache viel zuwenig. Und eben deshalb, weil diese Sache fast nichts
bedeutet, sollten wir darum nicht länger debattieren.«
    Julia gab Vincent zweihundert Euro. Er solle sich anziehen und ihre
Wohnung sofort verlassen. Sie packte ihre Sporttasche, um ihr eingebildetes
Hüftgold abzutrainieren. Vorher war nicht daran zu denken, heute mit gutem
Gewissen bei Monsieur Vuong zu speisen. Kurz überlegte sie, bei der Agentur
anzurufen und sich zu beschweren. Hätte das irgendeinen Sinn gehabt? Eher nein.

21
    Maschjonka und Robert Pfennig stritten erneut. Ihrer Meinung
nach zeigte er sich stur und kritikresistent. Wenn sie beide bei den
Meisterschaften mehr als einen Blumenstrauß gewinnen wollten, mußte er seinen
Tanzstil ändern. Seine machohaften Bewegungsabläufe konnte man bei jungen
lateinamerikanischen Tänzern vielleicht als authentisch akzeptieren, an Robert
wirkten sie grob und irgendwie steifdeutsch. Wenigstens ins Solarium solle er
gehen, fand Maschjonka.
    Dies lehnte Robert aus beruflichen Gründen ab. Im Büro könne er
nicht mit gebräunter Visage arbeiten, die Kunden hätten weniger Vertrauen zu
gebräunten Menschen.
    »Wieso das denn?«
    »Ist eben so. Daran bin doch ich nicht schuld!« Robert leitete eine
örtliche Niederlassung der Allianz, und selbst die meisten türkischen Kunden
schlossen lieber mit ihm Verträge ab als mit seinem türkischen Kollegen. Was
die Statistik klipp und klar bewies.
    »Swentja! Gehst du mit deiner Schwester auf den
Spielplatz, bitte?«
    Die Kinder sollten möglichst wenig vom Disput ihrer Eltern
mitbekommen.
    Swentja fügte sich, halbherzig, half ihrer kleinen Schwester in den
Mantel, es war kühl und windig draußen, trotz Mittagssonne und Mai. Der
Spielplatz lag in der Nähe des U-Bahnhofes Yorckstraße, unterhalb des bei
Touristen beliebten St.-Matthäi-Friedhofes, auf dem, nebst vielen anderen, weniger
illustren Toten, der Komponist Max Bruch und die Gebrüder Grimm begraben lagen.
Sonja rannte gleich zur Schaukel, die sie liebte. Swentja hatte ein
Harry-Potter-Buch dabei und setzte sich auf eine Bank. Der Spielplatz war
leidlich gut besucht, ein paar Kinder turnten im Halbkugelnetz der dicken Taue,
drei andere hockten im Sandkasten und bauten gemeinsam eine schiefe Burg, in
deren Zinnen und Türme sie Playmobil-Piratenfiguren steckten.
    »Swentja?«
    Sie drehte sich um. Da stand Johnny. Mit tief in den Taschen seines
Anoraks verborgenen Händen, als fröre

Weitere Kostenlose Bücher