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Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman

Titel: Einsamkeit und Sex und Mitleid: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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an unspektakulären
Klinkerbauten entlang, hinab in einen langgezogenen unterirdischen Gang mit Metalltüren
zu beiden Seiten des Flurs. Ein paar der Neonröhren flackerten, eine schnalzte
hörbar. Robert stellte Fragen wie: »Woran ist sie gestorben? Was hatte sie an?
Werden denn so viele Fünfjährige vermißt? Was, wenn ich mich übergeben muß?«,
und Nabel meinte, wenn er kotzen müsse, könne er das einfach tun, wo er grad
stehe, dafür gebe es Putzfrauen. Die anderen Fragen ließ er mit Hinblick auf
die laufenden Ermittlungen unbeantwortet, denn wenn es sich bei der Toten gar
nicht um Sonja handele, seien die Fragen ja müßig.
    In einem der großen kühlen Säle stand ein Arzt mit transparenten
Gummihandschuhen vor einer Wand mit vielen stählernen Schubladen. Eine war halb
herausgezogen, und Mascha brach in Tränen aus. Sie näherte sich der Toten sehr
widerwillig. Robert trat schließlich beherzt zu dem Arzt, der die Hände vorm
Schritt gekreuzt hatte und zur Begrüßung nur kurz nickte, ansonsten so tat, als
sei seine Anwesenheit nicht weiter zu beachten. Das tote Mädchen war bis zum
Hals zugedeckt. Robert gab sich einen Ruck und öffnete die Augen.
    »Nein!« stieß er erleichtert hervor, »nein, das ist sie nicht.«
    »Sicher?«
    Robert sah noch einmal hin. Das aufgedunsene Gesicht wirkte fett und
blaß, mit bläulichen Stellen. Nein, er war sich ganz sicher. Das war auf keinen
Fall Sonja, dieses Kind hätte er für älter geschätzt, sechs oder sieben
vielleicht. »Darf ich ihren Körper sehen?«
    Nabel winkte dem Arzt sein Einverständnis zu, der schob das weiße
Tuch hinunter bis zum Bauchnabel. Nun war auch Mascha herangetreten, ungläubig
starrte sie auf die Leiche, erst sah sie nur flüchtig hin, voller Ekel, dann,
als sie nichts sah, was ihr in irgendeiner Weise vertraut schien, bohrte sie
ihren Blick in jedes Detail dieses stinkenden, aufgeblähten Körpers. Das
Gesicht sah dem von Sonja nicht mal entfernt ähnlich. Die Haarfarbe stimmte
nicht. Die Tote trug auch gut fünf Zentimeter längere Haare – so schnell
konnten die nicht gewachsen sein. Mascha wurden die Beine schwer vor Freude,
sie kippte fast um, Robert hielt sie fest. Beide hatten die zwei Einstichwunden
gesehen, unterhalb der Brust, aber es dauerte, bis sie begriffen, was das
bedeutete.
    »Sie ist ermordet worden, nicht?« Robert wandte sich flüsternd an
den Kommissar, der räusperte sich und ließ seine Schultern und seine Lippen
sprechen, etwas zwischen Gestik und Mimik, ein stummes, halb offizielles Ja.
    »Und der, der das getan hat, wird meiner Tochter dasselbe antun!«
rief Mascha nun laut und machte sich aus Roberts Umklammerung los.
    »Beruhigen Sie sich! Das ist sehr weit hergeholt. Sehr sehr weit.
Ewers?« Nabel wandte sich an den Rechtsmediziner. »Haben Sie ein Valium für die
Dame?«
    Der korpulente Arzt mit dem grauen Bürstenhaarschnitt nickte, er
hatte auf einer Ablage schon zwei Pappbecher vorbereitet, angefüllt mit
lauwarmem Wasser. Seine Handfläche öffnete sich, drin lagen zwei weiße
Tabletten. Er hätte in der Manteltasche für den Fall der Fälle ein stärkeres
Sedativ bereitgehalten.
    »Ich muß noch fahren«, sagte Robert Pfennig.
     Und Nabel stimmte zu. »Fahren
Sie, machen Sie sich keine übertriebenen Gedanken. Mit Sonja muß das überhaupt
nichts zu tun haben.«
    Robert stutzte. Der Kommissar hätte doch auch sagen können: Mit Sonja hat das
überhaupt nichts zu tun . Wenn er ihn ernsthaft hätte beruhigen
wollen.
    »Darf ich denn Valium zu mir nehmen?« fragte Maschjonka. »Ich bin
nämlich schwanger.«
    »Oh! In der wievielten Woche denn?« wollte der alte Arzt wissen.
    »In der ersten.«
    Chefpathologe Dr. Ewers zog die Augenbrauen hoch, wollte schon
gratulieren, dann sagte er lieber doch nichts und reichte Maschjonka Pfennig
die Tablette.

6
    Johnny und Mahmud setzten sich an den letzten freien Tisch
und bestellten zwei Bier. Minnie wollte von den Gästen wissen, ob sie schon
sechzehn seien. Damit hatten beide nicht gerechnet. Johnny zeigte seinen
Personalausweis, er war vor wenigen Wochen achtzehn geworden, Mahmud hingegen
druckste herum, er sei sechzehn, habe nur leider keinen Ausweis dabei, sie
solle sich mal nicht so haben.
    »Tut mir leid. Du kannst hier alles haben, nur keinen Alkohol.«
    Mahmud wurde wütend. Johnny intervenierte. »Er darf doch ein Bier
trinken, wenn ein Erwachsener dabei ist, oder?«
    »Glaub schon.«
    »Na also, ich bin erwachsen, wo ist das Problem?«
    Plötzlich war

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