Einsatz in New York - Secret Mission ; 1
nichts er hat gesehen.«
Kanter betrachtet Semyotos undurchdringliches Gesicht. Er lässt nicht erkennen, wie viel Sympathie er für den Jungen hat.
»Hoxha hat mir den Zeitpunkt vorgeschlagen. Ich kann ihn nicht einfach ändern.«
»Behältst du Datum, Junge muss sterben.« Semyoto rührt keinen Muskel. Es wirkt, als ob sein Mund etwas ausspricht, wovon sein Körper nichts weiß.
Kanter möchte etwas trinken. Aber er will nicht aufstehen, bevor er die Entscheidung getroffen hat.
»Wo ist jetzt?«, fragt Semyoto.
»Ich habe Rick mit zwei anderen ins Lager geschickt. Sie sollen etwas für den Versand fertig machen. Im Keller ist kein Empfang, dort kann er nicht telefonieren.«
»Er ist klug, ist schnell.«
Kanter nickt. Die Erkenntnis, dass er hintergangen wurde, sickert nur langsam in ihn ein. Wie ein Gift, das in Tröpfchen verabreicht wird. Schwer steht er auf, geht zum Tresen und gießt sich vom grünen Schnaps ein. Am liebsten wäre ihm, er würde Rick nie wiedersehen. Aber so läuft das nicht.
»Noch ein Weg gibt«, sagt Semyoto.
Kanter spürt, wie das grüne Zeug in ihm hinunterrinnt. »Welchen?«
»Rick weiß, dass du weißt?«
»Nein.«
»Wenn sie haben Rick umgedreht«, sagt Semyoto, »du musst ein zweites Mal ihn umdrehen.«
»Das ist unmöglich.« Kanter kehrt an den Tisch zurück.
»Drehst ihn um, aber ohne er weiß.« Semyoto bewegt seine Hände sachte. »Drehst ihn um wie Puppe. Und am Ende du drehst Hals von Puppe um.«
»Puppe«, wiederholt Kanter. Ein Funkeln tritt in seine Augen. »Man kann eine Puppe sprechen lassen. Eine Puppe sagt das, was man ihr beigebracht hat.«
Semyoto nickt. »Gesehen hat er ein Datum. Sagen wird er ein Datum.«
Kanter findet an der Vorstellung Gefallen. »Ja, so könnte es gehen.« Kanter hält die Fäden wieder in der Hand. Er lächelt.
»Es ist der 11. September.« Nachdem Rick von Kanter freundlich verabschiedet wurde, ist er nur ein paar Häuserblocks weit gelaufen. Er ruft mich an.
»Bisschen genauer«, sage ich. In meinem Job rechnest du jederzeit mit schlechten Nachrichten. Wenn plötzlich eine gute dabei ist, willst du es zuerst nicht glauben.
»Verstehen Sie denn nicht? Es ist der Tag der Tage, der schlimmste mögliche Tag. Wenn es einer Organisation gelingt, an diesem Tag in New York eine Terrorkatastrophe auszulösen …« Rick ringt nach Worten.
Mir ist klar, was das bedeutet. Es heißt, dass unser ganzer sogenannter Krieg gegen den Terrorismus umsonst war. Wenn es gelingt, am 11. September eine Bombe zu zünden, die New York City radioaktiv verstrahlt, haben wir den Kampf verloren. Es ist egal, wie viel Schaden die Bombe anrichtet. Selbst wenn keine Flugzeuge in Türme rasen, selbst wenn keine Türme zusammenbrechen, ist es ein Zeichen der Macht. Ein unübersehbares Zeichen, dass der Gegner nicht zu besiegen ist. Ricks Nachricht ist gut und schlecht zugleich. Sie bedeutet, dass wir bei Kanter eindringen müssen, und zwar früher als gedacht. Wir müssen die Kisten herausholen. So schnell wie möglich.
»Wo bist du jetzt?«
Rick sagt es mir.
»Fahr nach New Jersey. Nein, geh nicht nach Hause. Für die nächsten Stunden solltest du irgendwohin, wo sie dich nicht finden könen.« Der Junge will etwas entgegnen, ich unterbreche ihn. »Geh auf keinen Fall zu Storm. Zieh sie in die Sache nicht mit hinein!«
»Heißt das, ich soll mich verstecken?«
»Ja. Fürs Erste tauchst du unter. So lange, bis wir den Dreckskerl festgenommen haben. Wir übernehmen jetzt. Du hast einen tollen Job gemacht. Aber jetzt musst du da raus, es ist zu gefährlich.« Als Rick
darauf schweigt, sage ich: »Wenn die dich aufspüren, bringen die dich um.«
»Oder Schlimmeres«, antwortet er nüchtern. »Gut, ich hau ab.«
Ich überlege, ob ich den Jungen nach drinnen holen soll. Im Department wäre er sicher. Aber ich bin überzeugt, dass ich Rick noch brauchen werde. Wie bald, davon habe ich selbst noch keine Ahnung.
»In ein paar Stunden haben wir ihn, dann ist dein Job vorbei«, sage ich.
Wir legen auf.
Natürlich wäre Rick am liebsten zu Storm gegangen. Er ist jetzt allein. Kanter und seine Organisation waren seine Familie, die haben wir ihm genommen. Das Department ist keine Familie, dazu ist es zu unpersönlich. Rick ist ein einsames Floß auf dem riesigen Ozean New York City.
Wo gehst du hin, wenn du nirgends mehr hinkannst? Rick holt das Handy aus der Tasche, der Akku ist fast leer. Er wählt eine Nummer, die er lange nicht mehr angerufen hat. Er
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