Einsatzort Vergangenheit (German Edition)
durchaus ernst meinte. Waren seine
Moralvorstellungen ebenfalls auf das 16. Jahrhundert zurückgestuft worden? Kam
die Kleidung mit Nebenwirkungen wie Schamgefühl und erhöhten
Moralvorstellungen? Vielleicht sollte Tom demnächst einen Beipackzettel
hinzufügen.
„Ganz
gewiss nicht, Sir. Darf ich Eure Schwester zu Tisch beim heutigen Festessen
begleiten?“, fuhr Raleigh fort. Phil blickte zu mir. Mit einem fast
unmerklichen Nicken meines Kopfes gab ich ihm zu verstehen, dass er jetzt bloß
nicht auf Etikette bestehen und ihm die Zustimmung erteilen sollte. Eine bessere
Gelegenheit um Walter besser kennenzulernen, würde sich mir so schnell nicht
wieder bieten.
„Nun
gut, ich glaube, ich kann Euch vertrauen, Ihre Majestät scheint es ebenfalls zu
tun. Wie könnte ich da anderer Meinung sein.“ Er spielte damit auf die Tatsache
an, dass Raleigh es innerhalb kürzester Zeit geschafft hatte, zum Favoriten der
Königin zu werden. Wobei die Königin nicht immer ein glückliches Händchen in
der Wahl ihrer Favoriten bewies, wenn ich an Robert Deveraux dachte. Er war
ebenfalls einer ihrer Lieblinge, dem sein Status leider nichts nutzen würde und
in wenigen Jahren wegen Hochverrats hingerichtet werden würde.
Selbstverständlich
handelte es sich bei dem Abendessen nicht um eine einfache Brotzeit. Vielmehr
war es ein üppiges mehrgängiges Menü mit den außergewöhnlichsten Speisen, wie
ich sie so noch nie zuvor gesehen hatte. Fisch, Wild, Rind, Schwein, Lamm, das
unterschiedlichste Geflügel. Ich glaube, es gab fast nichts, was nicht auf den
Tisch gebracht wurde. So wurde unter anderem auch ein ganzer Pfau serviert, dem
man nach dem Kochen sein Federkleid wieder zurückgegeben hatte. Ein Anblick,
der mir den Appetit reichlich verdarb. Der Vogel sah dermaßen lebendig aus,
dass ich es nicht über mich bringen konnte, davon zu essen. Die anwesenden
Gäste jedoch freuten sich über diese seltene Köstlichkeit und machten sich mit
fieberhafter Begeisterung daran das Tier zu verspeisen. Mit spitzen Fingern
nahm ich ein, zwei Happen, jedoch musste ich mich zwingen jeden einzelnen
dieser Bissen herunterzuschlucken. Mir war jeglicher Appetit, den ich
vielleicht noch einen Moment zuvor verspürt hatte, vergangen. Zumal auch mein
Kleid mich daran hinderte, wie ein Scheunendrescher reinzuhauen. Es mochte
nicht so eng geschnürt sein wie zu Scarlett O’Haras Zeiten, dennoch war es eine
Bremse für ausgiebige Mahlzeiten und von daher hielt ich mich vornehm zurück.
Zum wiederholten Mal war ich mehr als froh darüber, dass es in meiner Zeit
bequeme Kleidung ohne Folterinstrumente gab und somit spontane Besuche bei McDonald’s
ohne größere Probleme und Umstände über die Bühne gebracht werden konnten.
Raleigh
war in der Tat ein amüsanter Gesprächspartner. Er verriet mir, dass er aus
spanischer Sichtweise tatsächlich ein Pirat war, denn in ihren Augen
bereicherte er sich an ihren Besitztümern. Was selbstverständlich keineswegs
wahr war, wie er mir versicherte. Wer's glaubt, wird selig! Aber er war ein
verdammt charmanter Pirat, wie ich mir eingestehen musste.
„Aber
habt Ihr nicht auch Entdeckungsfahrten unternommen? Mir war so, als hätte ich
so etwas gehört?“ Irgendwann musste ich doch mal anfangen ihn in die richtige
Richtung zu schubsen und je früher desto besser.
„Das
ist richtig. Mein Bruder und ich sind vor einigen Jahren im Auftrag Ihrer
Majestät über die Meere gesegelt, um neues Land zu beanspruchen.“
„Und
was wurde daraus?“
„Ein
Desaster! Keine neuen Ländereien, dafür ist die Hälfte unsere Leute dabei
umgekommen und die Königin hat mir verboten noch einmal eine solche Reise zu
unternehmen! Und das ist das unrühmliche Ende meiner Eroberungsfahrt“, schloss
er seine Erzählung.
„Und
Ihr habt kein einziges Mal mehr den Wunsch verspürt eine neue Expedition auf
die Beine zu stellen?“
„Nein,
die Erfahrungen meiner letzten Expedition haben mir gereicht, mein Augenmerk
liegt derweil auf Irland. Dort werde ich gebraucht.“
„Und
Amerika reizt Euch nicht mehr?“ Er seufzte, griff nach seinem Weinglas und nahm
einen Schluck, bevor er mir antwortete:
„Reizen
schon, alleine das Geld zur Finanzierung fehlt mir momentan.“ Ich beschloss,
dass es besser sei, das Thema für den Rest des Abends fallen zu lassen. Ich
wollte sein Misstrauen nicht erwecken, in dem ich weiterbohrte, damit hätte ich
auch nichts gewonnen. Ich wechselte also schnell das Thema und den Rest des
Abends
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