Einst herrschten Elfen
Sie musterte ihn und die Seitengänge, die zu Wartungsplattformen und anderen Oberlichtern im Dach führten, und fluchte leise. Merrat und Grafyrre kamen zu ihr.
»Schwierigkeiten?«, fragte Grafyrre.
»Das kann man wohl sagen. Die Leitern sind weg.«
Die Tai blickten nach unten zum überfüllten, stinkenden Boden des Lagerhauses.
»Wie tief ist das? Dreißig Schritte?«, fragte Grafyrre.
»So ungefähr«, meinte Katyett. »Der Abstieg ist nicht das Problem. Wir können über die Deckenbalken klettern, in den Giebeln die oberen Enden der Wände erreichen und von dort aus springen. Aber seht euch die Wände an. Diese verdammte blaue Farbe, die der Hafenmeister so mag. Glänzend und spiegelglatt. Da findet auch der gewandteste TaiGethen keinen Halt.«
»Wir können von hier oben mit ihnen reden«, schlug Merrat vor.
»Wir müssen unten bei ihnen auf dem Boden sein. Es geht ihnen ja gerade darum, dass wir nicht über ihnen stehen sollen.«
»Und was nun?«
»Ich gehe runter und rede mit ihnen, dann handeln wir. Ich dort unten, ihr von außen.«
»Du gehst da unten ein hohes Risiko ein«, warnte Grafyrre sie.
Katyett zuckte mit den Achseln. »Das kann ich nicht ändern. Aber schau sie dir an. Was meinst du, wer von denen sich traut, mich anzugreifen? Tai, wir beten.«
Sie senkten die Köpfe und baten mit zwei gemurmelten Gebeten um den Segen der Götter für ihr Vorhaben. Katyett bat um Verständnis. Grafyrre und Merrat erflehten Stärke, Geschwindigkeit, das Dunkel der Nacht und einen Sturm von Gyals Tränen. Über ihnen krachte der Donner.
»Gyal hat dich erhört«, meinte Katyett.
»Das glaubst du doch selbst nicht«, widersprach Merrat.
»Das wäre aber eine Geschichte für die Schriften, oder nicht?«
Katyett legte ihren Freunden die Hände auf die Köpfe und lief auf dem Steg entlang. Am Ende hielt sie sich an einem Deckenbalken fest und arbeitete sich rasch bis zum Giebel vor. Dort ließ sie sich auf die tieferen Balken fallen und näherte sich der oberen Kante der Mauer. Unwirsch starrte sie die blaue Farbe an. Die Wachen drunten hatten noch nicht bemerkt, dass über ihnen eine TaiGethen gelandet war.
Schließlich nickte Katyett Merrat und Grafyrre zu und hängte sich an den Balken. Sie pendelte mit den Beinen, um etwas Schwung zu holen, ließ los und flog gegen die Mauer. Klatschend kam sie mit den Füßen auf und lief sofort schräg an der Wand hinab. Als sie zu fallen begann, drückte sie sich ab, überschlug sich in der Luft und sprang die letzten zwanzig Schritte hinab, um auf den Füßen zu landen und mit einer raschen Rolle den Aufprall abzufedern.
Jetzt stand sie zwischen den Beethan und den Gyalan. Die Wächter fuhren herum. Katyett hob beschwichtigend die Arme, legte einen Finger auf die Lippen und ging rasch zur Tür des Lagerhauses. Die Wächter, die natürlich unbewaffnet waren, kamen aus allen Richtungen herbei. Die Vernunft behielt die Oberhand, und sie schwiegen. Dicht vor dem ausgelegten Seil blieb Katyett stehen. Sie wartete, bis sie von Elfen umringt war; in ihren Augen stand Hass, und ihre Körpersprache drückte Gewaltbereitschaft aus.
»Ihr müsst euch jetzt entscheiden«, sagte Katyett. »Ihr könnt mich auf der Stelle töten. Ich werde mich nicht einmal wehren. Oder ihr hört mir zu, und ich rette uns alle. Was ist euch lieber?«
ZWEIUNDDREISSIG
Ich verlange nicht, dass du für mich stirbst. Ich will nicht, dass du für mich stirbst. Ich will nur, dass du bereit bist, für mich zu sterben.
S ie geben uns weder Essen noch Wasser, sie schwächen uns. Das Einzige, was wir hier tun können, ist schlafen, also schlafen wir die meiste Zeit. Was haben wir noch außer der Verzweiflung?«
Die Beethan- iad wirkte erschöpft und krank. Keiner von denen, die vor Katyett standen, war fähig zu kämpfen. Der Durst machte sie sicher bald wahnsinnig, der Hunger tat weh, und die Langeweile war gefährlich.
»Was ist mit den Toten?« Katyett deutete auf die bedeckten Körper. »Wie sind sie gestorben?«
»In den ersten Stunden, nachdem sie die Türen geschlossen hatten, sind hier drinnen Kämpfe ausgebrochen«, berichtete ein Gyalan, der im ganzen Gesicht Prellungen und auf der rechten Hand eine lange Schnittwunde hatte, die vermutlich von Fingernägeln oder spitzen Zähnen herrührte. »Zwanzig sind tot. Der Grund war der Hass zwischen den Linien, außerdem gab es Gerüchte, einige hätten noch Essen und Wasser. Die anderen sind gestorben, als sie versucht haben, zur Tür
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