Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt
Wahnsinns, so bleibt noch genug des Erheblichen darin bestehen.
Gehört Dühring am Ende nicht selbst in unsere Walhalla? Die Frage klingt ungeheuerlich, und ist dennoch nicht schlechtweg zu verneinen. Der Mensch soll nach seiner Höchstleistung beurteilt werden, nicht nach seinen Entgleisungen. Im Aristoteles wimmelt es von Unsinnigkeiten, und Lionardos »Bestarius« schwelgt im Abstrusen. Hätte Dühring nichts geschrieben als seine Studien von Archimedes bis Lagrange, so stünden ihm die Torflügel offen. Auch in seiner Ruhmschrift für Robert Mayer, die durch Unflätigkeiten verschimpfiert ist, steckt wenigstens noch die Größe des Bekennermutes.
Die Figuren Robert Mayer und Helmholtz gegeneinander abzumessen, bleibt auch bei ruhiger Betrachtung mißlich, da die fatale Prioritätsfrage hier hineinspukt. Die Befestigung des Energiesatzes durch Helmholtz steht für sich, allein vielleicht hätte er die um fünf Jahre vorzudatierende Entdeckung des Heilbronner Arztes stärker betonen können. Und wiederum wäre auch bei diesem nicht halt zu machen, denn die Unveränderlichkeit der Energiesumme bei mechanischen Vorgängen war schon dem Huyghens bekannt.
Der Heilbronner war ein einziges Mal in seinem Leben genial, und Helmholtz bewegte sich durch ein ganzes Leben asymptotisch zur Genielinie, ohne sie vollständig zu erreichen. Wenn ich Einsteins Meinung richtig deute, so verbleibt ihm die Herrlichkeit einer hinreißenden Forschernatur, nicht aber unbedingt der Platz neben den Allergrößten seines Faches. Einen gewissen Abstand will Einstein aufrechterhalten, nicht nur zu den Titanen der Vorzeit, sondern auch zu einigen Lebenden. Spricht er von diesen, so erscheint seine Rede voller instrumentiert. Es bedarf nicht stets langer Sätze, der einzelne Ton wird Halleluja. Er denkt da vornehmlich an Hendrik Antoon Lorentz zu Leyden, an Max Planck , an Niels Bohr , und man merkt es ihm an, jetzt ist Walhall um ihn.
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Wenn hier das Gleichnis mit einem Ruhmestempel festgehalten wird, so liegt darin ein Anklang an Einsteins eigene Worte, an seine Festrede vom Mai 1918 zur 60-Jahr-Feier für den Physiker Planck. Diese Rede war ein Akkord, in dem Erkenntnis des Kopfes und Bekenntnis des Herzens zusammenfließen. Wir standen an den Propyläen, und ein neuer Heraklit rief uns zu: Introite, nam et hic dii sunt!
Den Duktus jener schönen Ansprache möchte ich in einem durch keinen Kommentar unterbrochenen Auszuge mitteilen:
»Ein vielgestaltiger Bau« – so begann Einstein damals – »ist er, der Tempel der Wissenschaft. Gar verschieden sind die darin wandelnden Menschen und die seelischen Kräfte, welche sie dem Tempel zugeführt haben. Gar mancher befaßt sich mit Wissenschaft, im freudigen Gefühl seiner überlegenen Geisteskraft, ihm ist die Wissenschaft der ihm gemäße Sport, der ihm kraftvolles Erleben und Befriedigung des Ehrgeizes bringen soll. Gar viele sind auch im Tempel zu finden, die nur um nutzverheißender Ziele willen hier ihr Opfer an Gehirnschmalz darbringen. Käme nun ein Engel Gottes und vertriebe alle die Menschen aus dem Tempel, welche zu diesen beiden Kategorien gehören, so würde er bedenklich geleert, aber es blieben doch noch Männer aus der Jetzt- und Vorzeit im Tempel drinnen; zu diesen gehört unser Planck, und darum lieben wir ihn.
»Ich weiß wohl, daß wir da soeben viele Männer leichten Herzens im Geiste vertrieben haben, die den Tempel der Wissenschaftzum großen Teil gebaut haben; bei vielen auch würde unserem Engel die Entscheidung ziemlich sauer werden ... Wenden wir aber unsere Blicke denen zu, die vor dem Engel unbedingt Gnade gefunden haben! Etwas sonderbare, verschlossene, einsame Kerle sind es zumeist, die einander trotz dieser Gemeinsamkeiten eigentlich weniger ähnlich sind, als die aus der Schar der Vertriebenen. Was hat sie in den Tempel geführt? ... Zunächst glaube ich mit Schopenhauer, daß eines der stärksten Motive, die zu Kunst und Wissenschaft hinleiten, als der Drang auftritt zur Flucht aus dem Alltagsleben mit seiner schmerzlichen Rauheit und trostlosen Öde, aus Fesseln der ewig wechselnden eigenen Wünsche. Er treibt den feiner Besaiteten aus dem persönlichen Dasein hinaus in die Welt des objektiven Schauens und Verstehens. Dies Motiv ist mit der Sehnsucht vergleichbar, die den Städter aus seiner geräuschvollen, unübersichtlichen Umgebung nach der stillen Hochgebirgslandschaft unwiderstehlich hinzieht, wo der weite Blick durch die stille Luft gleitet
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