Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt
sehr wichtig und muß als eine bedeutende Erscheinung gewertet werden auf dem Gebiet des Experimentellen. Allein, in der geistigen Tragweite steht er doch gegen die Genannten zurück. Bleiben wir also bei den Dioskuren Faraday und Maxwell, deren Geistestat sich mit ganz kurzen Worten dahin charakterisieren läßt: die klassische Mechanik führte alle Erscheinungen, sowohl die mechanischen als die elektrischen, zurück auf die unmittelbare Einwirkung der Teilchen aufeinander in beliebiger Entfernung; das einfachste Gesetz dieser Art ist der Newton'sche Ausdruck, »Masse mal Masse dividiert durchs Entfernungsquadrat«. Demgegenüber haben Faraday und Maxwell eine ganz neue Art von physikalischen Realitäten eingeführt, nämlich die Kraftfelder . Die Einführung dieser neuen Realitäten hat den ungeheuren Vorzug, daß erstens die der Alltagserfahrung widersprechende Konzeption der Wirkung in die Ferne überflüssig gemacht wird, indem die Felder sich von Punkt zu Punkt, ohne Sprung, durch den Raum übertragen; und zweitens, daß die Gesetze für die Felder besonders in der Elektrizitäts-Theorie sich viel einfacher gestalten, als bei der feldlosen Darstellung, die eben nur an die Massen und Bewegungen als Realitäten anknüpft.
Er verbreitete sich noch eingehender über die Felder, und während er fachlich auseinandersetzte, sah ich ihn selbst, bildlich gesprochen, eingelagert in ein magnetisches Kraftfeld. Auch hier war eine Übertragung durch den Raum von Punkt zu Punkt wahrnehmbar, und von einer »Fern«-Wirkung konnte schon deshalb keine Rede sein, weil die Wirkungsquelle so nahe lag. Sein Blick glitt, magnetisch angezogen, an die Zimmerwand und umhüllte liebkosend die Porträtköpfe von Maxwell und von Faraday.
Menschen-Erziehung
Schulplan und Unterrichtsreform. – Wert der Sprachbildung. – Zeit-Oekonomle. – Uebung im Handwerk. – Das Anschaulich-Interessante. – Die Kunst des Lehrvortrags. – Auslese durch Begabten-Prüfung. – Frauenstudium. – Soziale Schwierigkeiten. – Die Not als Erzieherin.
Wir gelangten an eine Reihe pädagogischer Fragen , denen Einstein starke Teilnahme entgegenbringt. Denn er selbst entwickelt eine rege Lehrtätigkeit und er verhehlt niemals die Freude, die ihm deren Ausübung verursacht. Zweifellos versteht er es auch, durch das lebendige Wort auf größere Kreise Lernbegieriger zu wirken, nicht nur auf die Studenten der Hochschule, sondern weit darüber hinaus. Als in letzter Zeit Volkskurse auf breiter Grundlage eingerichtet wurden, war er einer der ersten, die ihre Kraft diesem heilsamen Unternehmen widmeten. Er sprach vor Leuten aus dem Arbeiterstande, bei denen er keinerlei akademische Vorkenntnisse voraussetzen durfte, und er wußte seine Vorträge so zu gestalten, daß ihnen auch die minder gebildeten Massen gut zu folgen vermochten.
Sein Verhalten zu allgemeinen Fragen der Schulerziehung wird naturgemäß durch seine Persönlichkeit und Arbeitsvergangenheit bestimmt. Ihm kommt es zunächst darauf an, daß der junge Mensch Einsichten in den Zusammenhang der Naturvorgänge gewinnt, daß also bei Aufstellung der Lehrpläne das Realwissen in den Vordergrund gestellt wird.
Es liegt mir fern, so erklärte mir Einstein, die Grundlinien der alten Lateinschule durch eine überstürzte Reform glattweg fortwischen zu wollen. Allein ebenso fern liegt es mir, mich für die sogenannte humanistische Schule zu begeistern. Hiervon würden mich schon gewisse Erinnerungen an meine eigene Schulzeit abhalten, und in noch stärkerem Grade mein Vorgefühl für die erzieherischen Aufgaben der Zukunft. »Ganz aufrichtig gesagt, finde ich, daß der Bildungswert der Sprachen im Allgemeinen erheblich überschätzt wird.«
Ich erlaubte mir, auf ein Merkwort zu verweisen, das bei gewissen Gelehrten noch heute als unbestreitbar gilt. Karl derFünfte hat es ausgesprochen: »So viele Sprachen einer versteht, so viele Male ist er ein Mensch«; und um zugleich auf die Wurzel der Sprachbildung zu deuten, hat er es auf Lateinisch gesagt: ›Quot linguas quis callet, tot homines valet (Wie viele Sprachen einer kennt, so viele Menschen ist er wert) ‹ Ein Wort, das sich in der Umformung »Soviel Sprachen, soviel Sinne« durch die Zeiten fortgesetzt hat.
Einstein entgegnete: Ich bezweifle die Allgemeingültigkeit dieser Sentenz, denn ich glaube, daß sie einer Realprobe zu keiner Zeit standgehalten hätte. Ihr widerspricht alle Erfahrung. Andernfalls wären wir genötigt, Sprachathleten wie
Weitere Kostenlose Bücher