Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt
restloser Ausschließlichkeit. Übrigens, so fügte er hinzu, ist für mich noch keineswegsausgemacht, ob die Greuel, von denen Sie sprachen, wirklich nur in der Nichtbegabung des Schülers ihren Urgrund haben. Ich bin vielmehr geneigt, in vielen Fällen der Nichtbegabung des Lehrers die Verantwortlichkeit zuzuschieben. Die meisten vertrödeln die Zeit mit Fragen, und sie fragen, um herauszubekommen, was der Schüler nicht weiß; während die wahre Fragekunst sich darauf richtet, zu ermitteln, was der andre weiß oder zu wissen fähig ist. Wo gesündigt wird – und die Sündentabelle erstreckt sich über alle Lehrfächer – da trägt zu allermeist die Persönlichkeit des Lehrers die Hauptschuld. Das Ergebnis in der Klasse liefert den Maßstab für die Tauglichkeit des Präzeptors. Alles in allem gerechnet bewegt sich die Quersumme der Fähigkeit in der Klasse selbst mit unerheblichen Schwankungen um Mittelwerte, mit denen man leidlich befriedigende Resultate erzielen kann. Bleiben die Fortschritte der Klasse darunter –, so sage man nicht, ein schlechter Jahrgang, sondern ein ungenügender Herr auf dem Katheder. In der Regel kann man annehmen, daß der Lehrer den Gegenstand, soweit er ihm anvertraut ist, versteht und als Lektionsstoff beherrscht; nicht aber, daß er ihn interessant zu machen versteht. Hier sitzt fast durchweg der Grund des Übels. Wenn der Magister einen Odem der Langeweile um sich verbreitet, so verkümmern die Resultate in der Stickluft. Lehren-können heißt interessant belehren, den Vortragsstoff, auch einen abstrakten, so vortragen, daß die Resonanzsaiten in der Seele des Schülers mitschwingen und daß seine Neugier lebendig bleibt.
Das ist eine Idealforderung für sich. Nehmen wir an, sie wäre erfüllt, wie denken Sie sich dann die Verteilung des Stoffes im Lehrplan selbst?
– Dies bis ins einzelne zu erörtern, wollen wir uns für ein andermal vorbehalten. Eine Hauptsache bliebe nur die Zeitökonomie, insofern als alles Überflüssige, Quälerische, auf Dressur gerichtete fortfallen müßte. Vorläufig gilt noch immer als Ziel der ganzen Übung die Schlußprüfung. Diese muß fortfallen!
Wahrhaftig, Herr Professor? Sie wollen das Abiturientenexamen abschaffen?
– Allerdings. Denn es steht wie ein schreckhaftes Turnier am Ende der Schulzeit, wirft seine Schatten weit voraus und zwingt Lehrer wie Zöglinge, sich dauernd auf eine forcierte Paradeleistung einzurichten. Dieses Examen steht auf einem künstlich hochgeschraubten Niveau, das die hinaufgepeitschten Teilnehmer nur für wenige Stunden innehalten, und das sie später niemals wiedersehen. Fällt es, so fällt damit auch derleidige Gedächtnisdrill, es braucht nicht mehr in Jahren eingepfropft zu werden, was nach dem Abitur mit Sicherheit in Monaten radikal vergessen wird und vergessen zu werden verdient. Kehren wir zur Natur zurück, die das Prinzip aufrechthält, mit dem geringsten Arbeitsaufwand die größte Wirkung zu erzielen, während die Maturitätsprüfung genau das entgegengesetzte Prinzip befolgt.
Ja aber, wer soll denn nun zur Universität entlassen werden?
– Jeder, der sich als fähig bewährt hat, nicht in einer vom Zufall abhängigen Feuerprobe, sondern in seinem ganzen Verhalten. Dieses ist dem Lehrer bekannt, und wenn es ihm nicht bekannt ist, liegt die Schuld wiederum bei ihm. Um so mehr wird er entlassungsreif finden, je weniger der Lehrplan als solcher auf die jungen Leute gedrückt hat. Sechs Stunden am Tage müßten vollauf genügen, davon vier für die Schule und zwei für häusliche Arbeit, und das wäre schon das Höchstmaß. Sollte Ihnen dies zu wenig erscheinen, so bedenken Sie, daß der junge Geist auch in der Muße eine starke Anstrengung erfährt, da er eine ganze Welt in Wahrnehmungen aufzunehmen hat. Und wenn Sie fragen, wie der ständig wachsende Lehrplan in so mäßiger Stundenzahl untergebracht werden soll, so sage ich: Platz wird genug sein, werft nur erst das Entbehrliche über Bord! Zum Entbehrlichen zähle ich den weitaus größten Teil des Lehrbetriebes, der sich »Weltgeschichte« nennt und in der Regel nichts anderes ist, als eine in öde Tabellenform gepreßte Geschichtsklitterung. Dieses Lehrfach ist auf das Alleräußerste einzuschränken und dürfte nur in ganz großen Zügen vorgetragen werden, ohne jede Jahreszahlpaukerei. Laßt Lücken darin, so viel ihr mögt, zumal in der alten Geschichte, sie werden sich im Leben nicht fühlbar machen. Ich halte es für durchaus kein
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