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Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt

Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt

Titel: Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Moszkowski
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letzter Zeit durch die physikalisch-chemischen Wissenschaften vollbracht worden sind, scheint mir der Moment gekommen, mit vollem Erfolg die wichtigsten Probleme der Menschheitszukunft anzugreifen; nämlich die der Biologie und besonders der Heilkunde mit den Waffen, die dem Arsenal der exakten Wissenschaften zu entnehmen sind.« Und der Mathematiker Emile Picard , Mitglied der Akademie, präzisierte noch hoffnungsvoller: »Es ist mir nicht zweifelhaft, daß die von der Menschheit mit Ungeduld erwarteten Entdeckungen diejenigen sind, die der Krankheit und den Altererscheinungen beikommen wollen. Impfstoffe gegen sämtliche Krankheiten, ein Verjüngungswasser (une eau de Jouvence) für Personen, deren Alter vorschreitet, das sind die von allen ersehnten Entdeckungen. Es gibt auch die als »sittlich« zu bezeichnenden Wissenschaften, von denen wir mit Ungeduld die Anweisungen erhoffen, um den Haß zu vermindern, der sich in jedem Lande und von Volk zu Volk täglich zu vergrößern scheint. Das wäre eine schöne Entdeckung!«
    Nun, Herr Professor Einstein, sagte ich, sind das nicht sehr erbauliche Worte? Wie tief muß das Bedürfnis nach ethischen Werten in der Menschennatur begründet sein, wenn sogar ein Mathematiker, dessen geistige Interessen durchaus nach dem Exakten gerichtet sind, die Entdeckungen auf sittlichem Gebiete allen andern überordnet.
    Einstein entgegnete: »Wir müssen hier streng unterscheiden, was wir im allgemeinen ersehnen, und was wir im Sinne der Erkenntnis an sich zu erforschen haben. Die hier gestellte Frage war nicht gefühlsmäßig und wunschhaft umschrieben, sondern richtete sich unzweideutig auf die Fortschritte und Revolutionen im Gebiete der Wissenschaft. Nun denn: zu moralischen Entdeckungen ist die Wissenschaft überhaupt nicht da! Deren einziges Ziel ist vielmehr die Wahrheit . Die Ethik ist eine Wissenschaft über moralische Werte, nicht aber eine Wissenschaft zur Feststellung moralischer »Wahrheiten«. Die Ethik, wie man sie gewöhnlich als Wissenschaft auffaßt, kann daher nur indirekt zu einer Findung oder Förderung der Wahrheit dienen. Ich will Ihnen zur Illustration meiner Ansicht ein Beispiel nennen, das einem ganz anderen Felde entnommen ist, und nur als Vergleichsanalogie dienen soll; nehmen wir also einmal das Schachspiel. Dessen Sinn und Bedeutung liegen nicht im Wissenschaftlichen, sondern ganz anderswo, in einem nach bestimmten Regeln zu erprobenden Kampf. Aber auch das Schach, insofern es den Geist schärft, kann für Wahrheiten einen Wert indirekt aufweisen. Es kann z. B. Permutationsaufgaben anregen, auf deren Grundemathematische, also rein wissenschaftliche Wahrheiten anzutreffen sind. Was ich durchaus nicht leugne, ist die Tatsache, daß in allen echten Wissenschaften das ethische Moment steckt. Denn die Beschäftigung mit Dingen, nur um der Wahrheit willen, hat eine befreiende und veredelnde Wirkung.«
    Diese befreiende, veredelnde Wirkung, so schaltete ich ein, hätte sich doch auch in der Dämpfung der Leidenschaften zu äußern, von denen im vorgenannten Gutachten die Rede war; also vor allen Dingen, um mit Picard zu reden, in der Verminderung des Hasses von Volk zu Volk, dessen unheilvolle Folgen wir so schmerzlich erlebt haben.
    Einstein lächelte und äußerte sarkastisch: »Der Haß ist vermutlich ein Reservat der ›Gebildeten‹, die dafür Zeit und Kraft übrig haben und die nicht von der Sorge absolut in Anspruch genommen werden. Aus seinem ironischen Ton war deutlich herauszuhören, daß er unter dem Sammelnamen der »Gebildeten« die Bildungsphilister, die snobistischen Mitläufer der Bildung begriff, nicht aber diejenigen, deren angestrengte Arbeit sich auf Vermehrung und Vertiefung des Bildungsmaterials richtet. Im wesentlichen blieb er dabei, daß irgendwelche »Entdeckungen« auf sittlichem Gebiete zu erwarten recht illusionär wäre; da jede wirkliche »Entdeckung« eben einzig und allein der Wahrheitssphäre angehöre, in der nur die Orientierung nach Richtig und Falsch, nicht aber nach Gut und Böse Sinn und Geltung habe.
    Und damit gelangten wir an die alte Frage des Pilatus: Was ist Wahrheit?
    In der Beantwortung betonte Einstein zunächst den Begriff der »Annäherung«, der in der Erforschung tatsächlicher Wahrheit eine große Rolle spielt, insofern jede physikalische nach Maß und Zahl feststellbare Wahrheit immer noch einen Rest offen läßt, der sie von der niemals erreichbaren Wirklichkeitswahrheit trennt. Dieser Begriff, der in

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