Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt
Geschichte der Irrtümer. – Kausalitäten. – Relativität auf physiologischer Grundlage. – Der Physiker als Philosoph.
Wir sprachen von Zielen und Aufgaben der Wissenschaft im allgemeinen und berührten gewisse Umfragen, wie sie von Zeit zu Zeit an die Berühmtheiten ausgeschickt werden, um deren Meinungen über die näheren und weiteren Ziele, über das Erstrebenswerte und Erreichbare zu erfahren.
Derartige Anregungen, so meinte Einstein, können ganz interessant sein; insofern sie die Aufmerksamkeit des Publikums für die Arbeiten der Forscher schärfen und diesen selbst Gelegenheit geben, weitere Kreise mit ihren Plänen bekanntzumachen. Indes darf man auch den Wert dieser Anregungen nicht überschätzen, wenn sie darauf gerichtet sind, ganz allgemein über die zukünftigen Wege der Wissenschaft etwas Zuverlässiges zu ermitteln. Jeder Gelehrte gerät in Verfolg seiner Untersuchungen an besondere Punkte der Peripherie, wo sich das Bekannte mit dem Unbekannten berührt, und ist geneigt, von diesen Punkten aus seine besonderen Perspektiven zu eröffnen. Man kann aber nicht erwarten, daß sich diese einzelnen Ausblicke zu einem Gesamtbild zusammenschließen und uns eindeutig die Wege bezeichnen, welche die Wissenschaft einschlagen soll oder einschlagen wird.
Herr Professor, entgegnete ich, dürfte ich vorschlagen, einige bestimmte Antworten, die auf solche Umfragen ergangen sind, herauszugreifen und zu erörtern? Ich habe hier eine ganze Reihe mitgebracht, und es wäre wertvoll, zu erkunden, wie Sie selbst zu einzelnen dieser auf die Zukunft eingestellten Aussprüche Stellung nehmen.
Einstein erklärte sich hierzu bereit, und ich las etliche Kundgebungen vor, die von bedeutenden Fachautoritäten, zumal Naturforschern und Mathematikern herrührten und sich unter dem gemeinsamen Titel »Die zukünftige Revolution der Wissenschaft«vereinigt hatten. Gleich zu Anfang gerieten wir an Ausführungen von Herrn Bailhaud , dem Leiter der Pariser Sternwarte, der sich mit dem sogenannten »Drei-Körper-Problem« und mit der Frage »Endlichkeit oder Unendlichkeit des Universums« beschäftigt.
Einstein erläuterte hierzu: Das berühmte Drei-Körper-Problem ist ein Sonderfall des allgemeinen Viel-Körper-Problems, dessen Wesen darauf gerichtet ist, die genaueren Bahnen der Himmelskörper zu ermitteln. Stellt man sich vor, daß die Planeten und Kometen lediglich der Anziehung des Zentralkörpers, der Sonne, unterworfen wären, so würden ihre Bahnen die ideellen Verwirklichungen der Keplerschen Gesetze ergeben, das heißt, sie würden sich um den Zentralkörper, noch präziser gesagt: um den gemeinsamen Schwerpunkt in reinen Kegelschnitten bewegen. Dasselbe würde sich ergeben, wenn man die Bahn eines Mondes als ausschließlich von seinem zugehörigen Planeten bestimmt betrachten wollte. Aber diese Annahme entspricht nicht der Wirklichkeit, da ja sämtliche Körper unseres Systems auch ihrer wechselseitigen Anziehung nach Maßgabe ihrer Massen und Entfernungen unterworfen sind. Hieraus folgen die sogenannten Störungen, Perturbationen, die Abweichungen von den ideell gedachten Bahnen, und die Aufgabe, diese Störungen zu ermitteln, fällt im wesentlichen mit dem »Drei-Körper-Problem« zusammen. Stellt man sich auf den Standpunkt der reinen Mechanik, so kann man dieses Problem als so weit gelöst betrachten, als wir imstande sind, die Bewegungsgleichungen hinzuschreiben. Allein an diese rein mechanische Aufgabe schließt sich eine mathematische, die bis heute noch nicht restlos bewältigt ist. So ist zu verstehen, daß die hierbei auftretenden Integral-Ausdrücke nur in Annäherung berechnet werden können. Für die praktische Ausrechnung macht dies keinen Unterschied, da die Annäherung nach den vorhandenen Methoden so weit getrieben werden kann, als man irgend will. Der Fehler läßt sich bis zu jeder beliebigen Grenze verkleinern, so daß es sich wohl erübrigt, in dieser Hinsicht von den zukünftigen Revolutionen der Wissenschaft ungeahnte Aufschlüsse zu erwarten.
Wir lasen weiter und bemerkten, daß einige der erwähnten Gelehrten nicht dabei stehen blieben, allen Fortschritt der Zukunft von der reinen Theorie zu erhoffen. Ihnen schwebte vielmehr ein Optimum des Glückes vor, zu dessen Gewinnung die Steigerung der Erkenntnisse allein nicht ausreicht. So hatte der berühmte schwedische Astrophysiker Svante Arrhenius sein Gutachten in die wenigen Zeilen zusammengefaßt: »Nach den ungeheuren Fortschritten,die in
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