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Einstein, Orpheus und andere

Einstein, Orpheus und andere

Titel: Einstein, Orpheus und andere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
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der Wand. Blinzelnd in dem neuen Licht trat ich zu ihm hin. Wenn sie noch funktionieren, ist es hübsch, die Farben anzusehen: sie bilden Muster, und die Muster machen Musik in mir. Mehrere Leute, die die Quellenhöhle erforscht hatten, hatten mir davon erzählt, und ich selbst war vor zwei Jahren gegangen und hatte mir einen in einem guterforschten Gang angeschaut. Und damals habe ich das mit der Musik herausgefunden.
    Farbfernsehen ist auf jeden Fall viel lustiger als diese entsetzlich riskante genetische Reproduktionsmethode, die wir übernommen haben. Na ja. Es ist eben eine wunderschöne Welt.
    Ich setzte mich an das Schaltpult und probierte die Knöpfe aus, bis einer klickte. Der Bildschirm vor mir wurde grau, zuckte, wirbelte von Farben.
    Es war ein bißchen statische Interferenz dabei, also suchte ich den Lautstärkenregler und drehte ihn ab … damit ich die Musik in den Farben hören konnte. Gerade wollte ich die Klinge an den Mund heben, da geschah etwas.
    Gelächter.
    Zuerst dachte ich, es sei eine Melodie. Aber es war eine lachende Stimme. Und dann auf dem Bildschirm in chaotischem Geflimmer: ein Gesicht. Es war nicht die Abbildung eines Gesichts. Es war, als sähe ich direkt die besonderen Flecken von Melodiefarbe, die das Gesicht bildeten, und übersähe den Rest. Ich würde dieses Gesicht in jeder visuellen Ausschweifung erkannt haben: Frizas Gesicht.
    Die Stimme war von jemand anderem.
    Friza löste sich auf. Ein anderes Gesicht erscheint: Dorik. Wieder das seltsame Lachen. Plötzlich war Friza auf der einen Hälfte des Bildschirms, Dorik auf der anderen. In der Mitte: der Junge, der mich auslachte. Das Bild wurde deutlicher, voller, und ich vergaß den Raum um mich. Hinter dem Jungen verfallene Straßen, Balken, die aus Mauerwracks stießen, sich krümmendes Unkraut; und alles in einem zitternden grünen Licht, die Sonne weiß auf dem netzförmigen Himmel. Auf einem Laternenpfahl hinter ihm hockte eine Kreatur mit Flossen und weißen Kiemen und schabte mit einem roten Fuß über den Rost. An der Kurve stand ein Hydrant, von Licht und Grünspan gemasert.
    Der Junge, ein Rotschopf – röter als die Blois, röter als blutgefüllte Blumen –, lachte mit niedergeschlagenen Augen. Seine Wimpern waren golden. Transparente Haut fing das Grün auf und fluoreszierte unter ihm; doch ich wußte, in normalem Licht wäre er so fahl gewesen wie der sterbende Whitey.
    »Lobey«, unter Gelächter, und seine Lippen enthüllten kleine Zähne – viele, zu viele kleine Zähne. Wie das Haifischmaul, vielleicht, das ich in La Dires Buch gesehen hatte, Reihe um Reihe von Elfenbeinnadeln. »Lobey, wie willst du mich denn bloß finden, hm?«
    »Was …?« Ich rechnete damit, daß die Illusion mit meiner Stimme verschwinden würde.
    Aber irgendwo stand dieser nackte Junge lachend immer noch mit einem Fuß im Rinnstein, der mit schwankendem Unkraut gefüllt war. Nur Friza und Dorik waren verschwunden.
    »Wo bist du?«
    Er blickte auf, und seine Augen hatten kein Weiß, nur glitzerndes Gold und Braun. Ich hatte früher schon solche, Augen meine ich, wie diese gesehen. Trotzdem, es ist enervierend, wenn man in Hundeaugen in einem menschlichen Gesicht schaut. »Meine Mutter nannte mich Bonny William. Jetzt nennt man mich Kid Death.« Er setzte sich an der Kurve auf den Rinnstein, ließ die Hände über die Knie baumeln. »Du willst mich also finden, Lobey, mich umbringen, wie ich Friza und Dorik umgebracht habe?«
    »Du? Du, Lo Bonny William …«
    »Nicht Lo. Kid Death. Nicht Lo Kid.«
    »Du hast sie umgebracht? Aber … warum? « Verzweiflung machte ein Flüstern aus meinen Worten.
    »Weil sie anders waren. Und ich bin noch viel mehr anders als irgendeiner von euch. Ihr macht mir Angst, und wenn ich Angst habe«, – wieder das Lachen – »dann töte ich.« Er blinzelte. »Du suchst gar nicht nach mir, weißt du. Ich suche dich.«
    »Was meinst du damit?«
    Er schüttelte grelles Karmin von seiner weißen Braue. »Ich bringe dich hier herunter zu mir. Wenn ich nicht wollte, würdest du mich niemals finden. Aber weil ich dich haben will, gibt es keine Möglichkeit für dich, mir zu entgehen. Ich kann durch die Augen jeder Kreatur in dieser Welt blicken, in jeder Welt, in der unsere Vorfahren jemals gewesen sind: also weiß ich eine Menge über viele Dinge, die ich weder berührt noch gerochen habe. Du hast dich aufgemacht und nicht gewußt, wo ich zu finden bin, und rennst gerade auf mich zu. Und du wirst am Ende, Lo

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