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Einstein, Orpheus und andere

Einstein, Orpheus und andere

Titel: Einstein, Orpheus und andere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
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jemandem, der Drachen treibt, Lo«, sagte Spinne zu mir. »Das gibt es bei uns nicht.«
    »Ich hätte auch nie im Traum daran gedacht, aber bei uns im Dorf ist das so üblich«, sagte ich.
    »Zur Herde geht’s da ’runter.« Er schwang sich hinter mich auf den Drachen.
    Bernsteinfarbenes Haar, vierhändig und ein bißchen buckelig und sieben Fuß Knochen in sechs Fuß Haut, das war Spinne. Prall vollgestopft. Und alles von langen schmalen Muskeln zusammengehalten. Er war rotgebrannt, und das Rot war braun gebrannt, aber es schimmerte immer noch durch. Und er lachte, als würde trockene Blätter in seiner Brust zusammengepreßt. Wir umkreisten den See schweigend. Und, Mensch, diese Musik!
    Die Herde, vielleicht zweihundertfünfzig Drachen, die klagend da herumstanden (ich sollte lernen, daß es bei ihnen ein Ausdruck des Glücks ist), wanderte langsam im Kreis in einer Senke jenseits des Sees. Meine Jugenderinnerung hatte die Treiber mit einem romantischen Flair umgeben. Die hier waren ein komischer Haufen. Ich verstehe, warum man sich nicht die Mühe macht, Treiber mit Lo und La und Le anzusprechen. Zwei von ihnen – also, ich weiß bis heute nicht, wie sie es fertigbrachten, im Sattel auf ihren Drachen zu bleiben. Aber ich näherte mich ihnen in Freundschaft.
    Ein einziger Kerl mit einem richtigen Gehirn: man konnte es daran erkennen, wie seine grünen Augen einen anblitzten, ebenso an seiner Geschicklichkeit mit der Peitsche und an der Sicherheit, mit der er die Drachen behandelte. Bloß, er war stumm. Beunruhigte mich das, ließ es mich an Friza denken? Aber man muß seine Arbeit machen … Es gab einen Jungen, neben dem Whitey wie ein vollkommen Normaler gewirkt hätte. Außerdem hatte er irgendeine Drüsengeschichte und roch schlecht. Und er wollte mir seine Lebensgeschichte erzählen (keine motorische Kontrolle des Mundes, also nuschelte er, wenn er aufgeregt wurde).
    Ich wollte, an Stelle von Stinker hätte Grünauge sprechen können. Ich hätte gern erfahren, wo er gewesen war, was er gesehen hatte – er kannte ein paar gute Lieder.
    Drachen verlaufen sich oft in der Nacht. Also treibt man sie am Morgen wieder zusammen. Ich war zusammen mit den streunenden Tieren eingefangen worden. Beim Frühstück erfuhr ich von Stinker, daß ich der Ersatzmann von jemand war, der am Nachmittag zuvor ein scheußliches Ende gefunden hatte.
    »Die komischsten Leute überleben hier draußen«, sagte Spinne nachdenklich. »Und die komischsten überleben nicht. Sie hat viel ›normaler‹ ausgesehen als du. Aber jetzt gibt es sie nicht mehr. Da siehst du’s mal wieder.«
    Grünauge schielte mich unter den Massen schwarzer Haare an, bemerkte, daß ich ihn beobachtete, und begann wieder seine Peitsche zu spleißen.
    »Wann sind denn diese Dracheneier endlich fertiggebraten?« fragte Messer und fummelte mit grauen Händen über die Steine der Feuerstelle.
    Spinne gab ihm einen Tritt, und die Herde stob davon. »Warte, bis wir alle essen.« Aber ein paar Minuten später kam er zurückgekrochen und rieb sich wieder an den Steinen. »Warm«, murmelte er entschuldigend, als Spinne den Fuß hob, um ihm einen zweiten Tritt zu geben. »Ich mag, wenn’s warm ist.«
    »Laß bloß das Essen in Ruhe.«
    »Wohin treibt ihr die da?« Ich deutete auf die Herde. »Und woher kommt ihr mit ihnen?«
    »Sie vermehren sich im Heißen Sumpf, ungefähr zweihundert Kilometer westlich von hier. Wir treiben sie hier ’runter, durch die große City bis nach Branning-at-Sea. Dort werden die Unfruchtbaren geschlachtet; man holt die Eier aus den Weibchen, befruchtet sie, und dann bringen wir die Eier wieder zurück und legen sie in den Sumpf.«
    »Branning-at-Sea?« fragte ich. »Was machen sie dort mit ihnen?«
    »Die meisten werden gegessen. Andere als Arbeitstiere verwendet. Es ist ein ziemlich faszinierender Ort für jemanden, der in den Wäldern geboren ist, denke ich mir. Ich bin so viele Male hin und her gewandert, daß es für mich jetzt wie zu Hause ist. Ich hab’ ein Haus dort und eine Frau und drei Kinder und eine zweite Familie im Sumpf.«
    Wir aßen Eier, gebratenen Echsenspeck, dicke Polenta, heiß und füllend und mit viel Salz und gehackten Paprikaschoten. Als ich fertig war, begann ich auf meiner Klinge zu spielen.
    Diese Musik!
    Es waren viele Melodien auf einmal, manche die gleichen, aber sie fingen zu verschiedenen Zeiten an. Ich mußte einen Strang herauswählen und spielen. Nach ein paar Noten merkte ich, daß Spinne mich voll

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