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Einstein, Orpheus und andere

Einstein, Orpheus und andere

Titel: Einstein, Orpheus und andere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
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Schultern. »Vielleicht nicht. Aber wie gesagt, Kid ist mein Freund.«
    »Und außerdem hat er dich ganz schön in seiner Gewalt, was?«
    »So ungefähr«, sagte Spinne.
    Ich schnippte meine Peitsche nach einem Drachen, der so aussah, als dächte er daran, wegzulaufen. Er gähnte, schüttelte seine Mähne und legte sich wieder hin. »Ich vermute, irgendwie hat er mich sogar in der Hand. Er hat gesagt, ich würde versuchen ihn zu finden, bis ich genug begriffen hätte. Dann würde ich versuchen davonzulaufen.«
    »Er spielt mit dir«, sagte Spinne. Sein Lächeln war spöttisch.
    »Er hat uns wirklich alle an der Leine.«
    »So ungefähr«, sagte Spinne wieder.
    Ich runzelte die Stirn. »So ungefähr heißt nicht völlig«, sagte ich.
    »Nun«, sagte Spinne, von mir weggewendet, »es gibt einige wenige, die er nicht berühren kann, wie seinen Vater zum Beispiel. Darum hat er mich dazu bringen müssen, ihn zu töten.«
    »Wer sind sie?«
    »Grünauge ist einer davon. Grünauges Mutter ebenfalls.«
    »Grünauge?« Indem ich den Namen wiederholte, stellte ich eine Frage. Vielleicht hatte er mich nicht gehört. Vielleicht zog er es vor, nicht zu antworten.
    Also fragte ich weiter: »Warum mußte Grünauge Branning-at-Sea verlassen? Er hat es mir gestern nacht so halb und halb erklärt, aber ich hab’s nicht ganz verstanden.«
    »Er hat keinen Vater«, sagte Spinne. Darüber zu sprechen, war er offenbar eher bereit.
    »Können sie nicht einen Vaterschaftstest durchführen? Die wandernden Volksdoktoren, die in mein Dorf kommen, machen das die ganze Zeit.«
    »Ich habe nicht gesagt, daß man nicht weiß, wer sein Vater ist. Ich hab’ gesagt, er hat keinen.«
    Ich runzelte die Stirn.
    »Wie gut bist du in Genetik?«
    »Ich kann eine Dominantenkarte aufzeichnen«, sagte ich. Die meisten Leute, auch die aus den winzigsten Dörfern, kannten ihre genetischen Eigenschaften, sogar wenn sie nicht mal rechnen konnten. Das menschliche Chromosomensystem war angesichts der Strahlungsnormen so unzulänglich, daß genetisches Wissen für unser Überleben wichtig wurde. Ich habe mich oft gefragt, warum wir nicht eine angemessenere Fortpflanzungsmethode erfunden haben, die zu unserer eigenen triploiden – ich nehme an, ihr würdet sagen: sexuellen – Erbmasse paßt. Einfach zu faul. »Und weiter«, sagte ich zu Spinne.
    »Grünauge hat keinen Vater«, wiederholte Spinne.
    »Parthenogenese?« fragte ich. »Das ist unmöglich. Das geschlechtsbestimmende Chromosom wird vom männlichen Teil getragen. Frauen und Androgyne tragen nur das genetische Material zur Produktion weiterer weiblicher Wesen. Er müßte ein Mädchen sein, mit haploiden Chromosomen, und unfruchtbar. Und er ist ganz bestimmt kein Mädchen.« Ich dachte einen Augenblick nach. »Wenn er natürlich ein Vogel wäre, dann wäre die Sache ganz anders. Bei denen tragen die Weibchen die geschlechtsbestimmenden Chromosomen.« Ich schaute über die Herde. »Oder eine Echse.«
    »Ist er aber nicht«, sagte Spinne.
    Ich stimmte ihm zu. »Das ist merkwürdig«, sagte ich und blickte zum Feuerplatz zurück, neben dem der merkwürdige Junge schlief.
    Spinne nickte. »Als er geboren wurde, kamen weise Männer von überall her und haben ihn untersucht. Er ist haploid. Aber er ist ganz männlich und völlig zeugungsfähig, obwohl ihn ein ziemlich verheerendes Leben keusch von Natur gemacht hat.«
    »Das ist dumm.«
    Spinne nickte. »Wenn er sich aktiv an den Sonnwendorgien beteiligen würde oder bei den herbstlichen Erntezeremonien irgendeine versöhnliche Geste machte, könnte ein Großteil von dem ganzen Ärger vermieden werden.«
    Ich hob eine Augenbraue. »Wer will denn wissen, ob er an den Orgien teilnimmt oder nicht? Haltet ihr in Branning sie nicht bei Neumond ab?«
    Spinne lachte. »Ja. Aber in Branning-at-Sea ist das eine ziemlich offizielle Geschichte geworden; es passiert mit künstlicher Insemination. Die Darbringung des Samens – besonders bei Männern aus bedeutenden Familien – erregt ziemlich viel öffentliches Aufsehen.«
    »Das klingt mir aber sehr langweilig und unpersönlich.«
    »Das ist es. Aber es ist wirksam. Wenn eine Stadt Millionen Leute beherbergt, dann kannst du nicht einfach das Licht auslöschen und zulassen, daß alle unkontrolliert durch die Straßen laufen, wie man das in einem kleinen Dorf tun kann. Sie haben’s ein paarmal versucht, früher, als Branning-at-Sea noch viel kleiner war, aber sogar damals waren die Ergebnisse …«
    »Millionen Leute?«

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