Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einstein, Orpheus und andere

Einstein, Orpheus und andere

Titel: Einstein, Orpheus und andere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
Vom Netzwerk:
du?« fragte ich. »Du bist Judas und Minos und Pat Garrett? Wie stehst du zu ihr?«
    Sein Schnauben war verächtlich und zugleich amüsiert. »Wenn die Taube Jean Harlow ist, dann bin ich Paul Burn.«
    »Jetzt Schluß, Lobey. Mach dich auf den Weg.«
    »Ich bin dabei«, sagte ich. »Ich bin schon dabei.« Ich war verwirrt. Aus fast den gleichen Gründen wie ihr. Obwohl es nicht völlig die gleichen Gründe waren. Während ich zur Tür ging, schielte ich immer wieder nach Spinne zurück. Plötzlich gab er dem Schädel einen sanften Schubs. Er flog an mir vorbei, schwebte einen Augenblick in der Luft, zerbrach dann auf den Steinen, und Spinne lachte. Es war ein freundliches Lachen, ohne das boshafte Glitzern von Fischschuppen und Fliegenflügeln, das das Lachen Kids verbarg. Doch es erschreckte mich fast zu Tode. Ich rannte aus dem Tor. Auf einer Stufe nagten Knochenfragmente an meinem Spann. Das Tor krachte hinter mir zu. Die Sonne schlug mir ins Gesicht.

 
12.
     
    Verlasse Kreta, komm in diesen heiligen Tempel.
    Sappho / Fragment
     
    Heute morgen habe ich mich mit den Dockarbeitern vor dem dünnen Regen in ein Teehaus geflüchtet. Gelbe Wolken quälten sich draußen über den Bosporus. Fand einen Mann, der Französisch sprach, zwei andere, die Griechisch konnten. Wir redeten von Reisen und wärmten uns die Finger an Teegläsern. Wir vier hatten zusammen den Erdball umfahren. Das Radio über dem Ofen wechselte zwischen endlosen türkischen Modulationen und Aznavour und den Beatles ab. Lobey beginnt den Fuß zum letzten Schritt seiner Reise zu heben. Ich kann ihm hier nicht folgen. Als der Regen aufhörte, wanderte ich über den Fischmarkt am Hafen, wo man den silbernen Fischen die Kiemen herausbrach und über dem Rachen befestigte, so daß jeder Kopf mit einer blutigen Blume gekrönt war. Eine Straße mit Holzhäusern wand sich den Hügel hinauf zur City. Hier hatte vor kurzem ein Feuer gewütet. Nur wenige Häuser waren wirklich niedergebrannt, aber lange Balken glitzernder Kohle ragten über die Steine, auf denen Kinder im Dreck mit Orangenschalen spielten. Ich schaute zu, wie ein paar andere einen rothaarigen Jungen hetzten. Sein Gesicht war naß; er stolperte im Schlamm, dann floh er vor mir her. Die Absätze an seinen Schuhen waren abgetreten. Vielleicht werde ich beim Überarbeitet Kid Death’ Haar von Schwarz in Rot ändern. Ging längs der Mauer des Topkapi-Palastes, kickte nasses Laub vom Gehsteig. Ich machte in der Sultan Ahmed Dschammi halt. Die blauen Muster wuchsen über mir in die Kuppel hinauf. Es war friedlich und erholsam. In einer Woche schon wieder Geburtstag, und dann kann ich mit der peinlich genauen Prozedur beginnen und ein zweites Filigran über den Palimpsest des Romans legen. Die Steine unter meinen bloßen Füßen waren kalt. Die Muster schraubten sich weiter und weiter und zogen einem die Augen nach oben und weg von einem selbst. Draußen zog ich mir die Schuhe wieder an und ging quer über den Hof. Dann saß ich im zweiten Stock des alten Teehauses am anderen Ende des Parks in einer Ecke, weit vom Ofen entfernt, und versuchte meine Figuren an ihr Ende zu kneten. Bald werde ich von neuem beginnen. Schlüsse, die nützlich sein sollen, müssen ergebnislos sein.
    Tagebuch des Autors / Istanbul, März 1966
     
    Was sind Ihre Fähigkeiten? Wagen Sie es, im Osten zu leben, wo wir leben? Scheuen Sie sich vor der Sonne? Wenn Sie hören werden, wie das neue Violett seinen Weg unter den Göttern nimmt, werden Sie standhaft sein?
    Emily Dickinson / Brief an K. S. Turner
     
    Die ›Perle‹ überraschte mich. Millionen Menschen sind zuviel, um ein Individuum in einem Slum zu finden. Aber die Establishment-Klassen sind dafür um so zentralisierter. Im wütenden Abendlicht sah ich das Schild unten an der Straße. Ich schaute in meinen Beutel. Aber Spinne würde mir schon genug gegeben haben.
    Schwarze Türen brachen unter dem zinnoberroten Sonnenausbruch auf. Ich ging Stufen unter orangefarbenem Licht hinauf. Parfüm hing in der Luft. Lärm hing da. Ich hielt mein Schwert fest. Nagelköpfe hatten den Flor der Teppiche unter dem Zerren von wie vielen Füßen abgeschabt. Jemand hatte ein Trompe l’oeil -Stilleben an die linke Wand gemalt: Früchte, Federn und Vermessungsgeräte auf verschrumpeltem Leder. Stimmen, ja. Aber, an der Stelle, an der sich die Gehörnerven mit dem Gehirn verbinden, an der Stelle, an der Klang Musik wird, herrschte Schweigen.
    »Lo?« fragte mich der Hund oben an der

Weitere Kostenlose Bücher