Einstein, Orpheus und andere
kürzen und verlängern, je nachdem wie ich die meinen verkürze oder verlängere. Die Welt stiehlt meine Witze, meine Gesten, sogar meine Irrtümer, um sie an jedem neuen Geliebten auszuprobieren.«
Das Paar am nächsten Tisch hatte wahrscheinlich schon zum größten Teil vergessen, was es bedeutet, vierzig zu sein. Sie sahen glücklich aus, wirkten reich und zufrieden. Ich beneidete sie.
»Es gab eine Zeit«, fuhr Taube fort und strich mir mit dem Zeigefinger über den Handrücken, »da genügten Orgien und künstliche Befruchtung. Aber wir haben immer noch die Neigung, wie Gallerte zu verschmelzen. Und da liegt meine Aufgabe. Und das, nehme ich an, wirft wieder eine neue Frage für dich auf.«
Die Kinder uns gegenüber hielten sich an den Händen und kicherten. Einst hatte ich geglaubt, einundzwanzig sei das Alter der Verantwortlichkeit; mußte es wohl sein, es lag so weit zurück. Diese Kinder würden alles tun können, und jetzt gerade begriffen sie das, und sie waren zugleich verletzt und erstaunt und wahnsinnig glücklich über das, was auf sie zukam.
»Die Antwort« – und ich blickte wieder die Taube an – »liegt in dem besonderen Talent, das mir meinen Job erleichtert.«
Der Finger, der meine Hand gedrückt hatte, berührte nun meine Lippen. Sie schob ihre Lippen vor, um anzudeuten, daß ich schweigen solle. Mit der anderen Hand hob sie mein Schwert. »Spielst du, Lobey?«
»Für dich?«
Sie ließ ihre Hand durch den Raum schweifen. »Für die da.« Sie wendete sich den Leuten zu. »Hört mal, alle! Ich möchte, daß ihr ruhig seid. Ich möchte, daß ihr zuhört. Ihr müßt still sein …«
Sie verstummten.
»… und zuhören.«
Sie hörten zu. Viele stützten die Ellbogen auf den Tisch. Die Taube wendete sich mir zu und nickte. Ich blickte auf meine Machete.
Am anderen Ende des Raums hielt Pistol den Kopf in die Hände gestützt. Ich lächelte ihm zu. Dann setzte ich mich auf die Kante eines leeren Tisches, legte die Zehen über die Löcher, die Finger.
Ich blies einen Ton. Ich schaute die Leute an. Ich blies wieder einen Ton. Danach mußte ich lachen.
Die Kinder lachten auch.
Ich blies zwei Töne tiefer, dann schrill.
Ich begann in die Hände zu klatschen, einen harten, langsamen Rhythmus. Die Melodie machte ich mit den Füßen allein. Die Kinder fanden das ebenfalls ganz komisch. Ich rockte auf der Tischkante, schloß die Augen, klatschte in die Hände, spielte. Im Hintergrund begann einer mit mir zu klatschen. Ich grinste in die Flöte, und der Klang wurde heller. Ich erinnerte mich an die Musik, die ich von Spinne bekommen hatte. Und so versuchte ich etwas, was ich nie zuvor versucht hatte. Ich ließ einen Melodiebogen weiterlaufen, ohne daß ich ihn spielte, und spielte statt dessen einen anderen. Töne zogen sich gegenseitig in eine Harmonie, während sie von Klatschen zu Klatschen schossen. Ich ließ die zwei Melodiebögen weiterlaufen und fädelte einen dritten über sie. Ich stieß die Musik in das Schwanken der Körper, schüttelte ihnen die Bäuche durch, bis ihre Finger auf den Tischtüchern im Rhythmus mitschlugen. Ich spielte, starrte sie fest an, wog das Gewicht der Musik in ihnen, und als genügend Gewicht vorhanden war, tanzte ich. Bewegungen wiederholten sich; Tänze machen ist das Gegenteil von sich etwas bieten lassen. Ich tanzte auf dem Tisch. Hart. Ich peitschte sie mit Musik. Klänge schälten sich von Klängen. Akkorde brachen auf wie übersatte Blüten. Leute schrien. Ich schrillte meinen Rhythmus durch das hohle Messer auf sie hinunter, stieß Klang ihr Rückgrat hinab, wie man einen Frosch im Rückenmark tötet. Sie zuckten auf ihren Stühlen. Ich legte der Musik einen vierten Melodiebogen zu, der mit vielen, vielen anderen Noten dissonierte. Drei Leute hatten mit mir zu tanzen begonnen. Ich ließ die Musik sie packen. Rhythmus hielt ihr Zucken zusammen. Der alte Mann schüttelte die Schultern dem blauäugigen Mädchen zu. Klatsch. Die Kinder zuckten Schulter an Schulter. Klatsch. Das ältere Paar hielt sich ganz fest an den Händen. Klatsch. Klang kippte – Klatsch – hinter sich selbst ab. Stille einen Augenblick lang. Klatsch. Dann losgelassen durch den Raum; wie Drachen im Busch stöhnten sie wild alle gemeinsam, schlugen die Schenkel und Bäuche zu vier Melodien zusammen.
Auf dem erhöhten Podest, auf dem der Tisch der Taube gestanden hatte, öffnete jemand die breiten Fenster. Der Wind auf meinem schweißüberströmten Rücken ließen mich husten. Der
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