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Einstein, Orpheus und andere

Einstein, Orpheus und andere

Titel: Einstein, Orpheus und andere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
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Treppe.
    Ich war verwirrt. »Lo Lobey«, sagte ich in sein kaltes Gesicht hinein und grinste ihn an. Er blieb unbeweglich.
    Und auf dem Balkon am anderen Ende des Raumes, in dem ihre Gesellschaft war, stand sie auf, beugte sich über das Geländer, rief: »Wer bist du?«, und das Gelächter in ihrer Altstimme verschüttete die Worte.
    Sie war hübsch. Sie trug Silber, ein Ausschnitt reichte V-artig tief zwischen kleinen Brüsten hinab. Ihr Mund schien an Gefühlsausdrücke gewöhnt zu sein, meist an Gelächter, vermute ich. Ihr Haar war wild und hell wie das von Little Jon. Die Person, die sie anrief, war ich. »He-he, du da, Dummerchen, wer bist du?«
    Es war mir völlig aus dem Gedächtnis entfallen, daß man antwortet, wenn jemand zu einem spricht. Der Hund hustete, dann kündigte er mich an. »Hem … Lo Lobey.« In diesem Moment verstummten alle im Raum. Mit der Stille bemerkte ich erst, wie laut es gewesen war. Gläserklingen, Geflüster, Gelächter, Gerede, Füße auf dem Fußboden, Stuhlbeine, die hinter ihnen dreinquietschten: ich wünschte, es würde erneut beginnen. In einem Türdurchgang an der anderen Seite des Raumes, über dem sich zwei Schlangen über dem Querbalken umeinanderwanden, sah ich die feiste vertraute Gestalt des buckligen Pistol. Ganz offensichtlich kam er von irgendwoher, um zu sehen, was los war; er entdeckte mich, schloß die Augen, atmete tief ein und lehnte sich an den Türpfosten.
    Dann sagte die Taube: »Nun, es wird aber auch allmählich Zeit, Lo Lobey. Ich dachte schon, du würdest nie hierherfinden. Pistol, bring einen Stuhl.«
    Ich war überrascht. Pistol war von Verblüffung baff. Aber sobald er den Mund wieder zubekam, brachte er einen Stuhl. Mit gezogener Machete pirschte ich mich an die Taube heran, zwischen den Tischen hindurch, den Blumen, den Kerzen und geschliffenen Pokalen; zwischen den Frauen mit juwelenbedeckten Augenlidern und Brüsten, die in Bronzemaschen oder Silberdraht gepreßt waren. Alles drehte sich nach mir um, als ich vorbeiging.
    Ich stieg die Treppe zur Empore der Taube hinauf. Sie lehnte mit der Hüfte gegen die Brüstung, sie streckte mir die Hand entgegen. »Du bist ein Freund von Spinne«, strahlte sie. Wohlbehagen überströmte einen, wenn sie sprach: »Pistol!« – sie drehte sich um. Lichtfalten glitten über ihr Kleid – »Stell den Stuhl neben meinen.« Er tat es, und wir ließen uns auf die Brokatkissen nieder.
    Mit der Taube neben mir fiel es mir etwas schwer, irgend jemanden sonst zu sehen. Sie beugte sich zu mir herüber, atmete. Ich nehme jedenfalls an, das war es, was sie tat. »Wir sollen miteinander reden. Worüber möchtest du reden?«
    Das Atmen bei einer Frau beobachten, das ist etwas Faszinierendes. »Ah … hem … also …« Ich zwang mein Interesse mit Gewalt wieder zu ihrem Gesicht zurück. »Sind neuntausend wirklich so viel besser als neunundneunzig?« (Denkt bloß nicht, daß ich wußte, wovon ich redete.) Sie begann lautlos zu lachen. Und das ist sogar noch faszinierender.
    »Oh!« antwortete sie. »Du mußt versuchen, es herauszufinden.«
    Und in diesem Moment begannen alle wieder zu sprechen. Die Taube beobachtete mich noch immer. »Was machst du?« fragte ich. »Spinne sagt, daß du mir helfen wirst, Friza zu finden.«
    »Ich weiß nicht, wer Friza ist.«
    »Sie war –« Die Taube atmete wieder ein und aus. »– auch sehr schön.«
    Ihr Gesicht veränderte sich zu einem tieferen Gefühl. »Ja«, sagte sie.
    »Ich glaube nicht, daß wir hier über sie sprechen können.« Ich warf einen Blick auf Pistol, der sich noch in der Nähe herumtrieb. »Das Problem ist haargenau so, wie du dir vorstellen kannst.«
    Sie hob eine gefärbte Augenbraue.
    »Es ist ein bißchen …«
    »Oh«, sagte sie, und ihr Kinn hob sich.
    »Aber du?« fragte ich. »Was tust du? Wer bist du?«
    Der Bogen ihrer Braue hob sich noch stärker. »Meinst du es ernst?«
    Ich nickte.
    Verwirrt blickte sie die Leute um sich herum an. Als keiner statt ihrer eine Erklärung anbot, schaute sie mich wieder an. Ihre Lippen öffneten sich, berührten einander wieder; die Lider senkten sich, sprangen wieder auf. »Sie sagen, ich bin das, was es ihnen allen erlaubt, weiter zu lieben.«
    »Wie das?« fragte ich.
    Jemand neben ihr sagte: »Er weiß es wirklich nicht?«
    Und von der anderen Seite einer: »Weiß er denn nichts darüber, wie das Durcheinander der Geißelspermien aufrechterhalten wird?«
    Sie legte einen Finger senkrecht auf die Lippen. Sie wurden still,

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