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Einstein, Orpheus und andere

Einstein, Orpheus und andere

Titel: Einstein, Orpheus und andere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
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Husten grollte in der Flöte. Eine Luftbewegung in einem geschlossenen Raum macht dir klar, wie heiß es ist. Die Tänzer drängten sich zum Balkon hin. Ich folgte ihnen. Die Fliesen waren rot und blau. Der goldene Abend blutete aus blauen Wunden. Ein, zwei Tänzer erholten sich, auf dem Geländer sitzend. Das Schwert fiel von meinen Lippen, ich blickte mich scheu um …
    Es erwischte mich quer über die Augen. Das Silberkleid, das im Wind wogte. Aber es war nicht die Taube. Sie hob dunkle Knöchel an ihre braune Wange, der volle Mund öffnete sich zu einem Seufzen. Sie blinzelte, strich sich mit der Hand übers Haar, blickte sich suchend unter den Tänzern um. Der eine oder andere verdeckte sie einen Augenblick, trat wieder von ihr fort.
    Meine dunkle Friza …
    Friza, zurückgekehrt und zwischen den Tänzern wandelnd …
    Schöne, sehnsüchtig ersehnte Friza, wiedergefunden …
    Einmal war ich so hungrig gewesen, daß es mich mit Schrecken erfüllt hatte, als ich dann aß. Die gleiche Angst jetzt. Nur stärker. Die Musik spielte sich von selbst. Die Klinge hing von meiner Hand. Einst hatte Friza ein Steinchen geworfen …
    Ich stürzte mich in das Labyrinth der Tänzer.
    Sie sah mich, ich packte ihre Schultern, sie umfaßte mich, Wange an meinem Hals, Brust gegen meine Brust, ihre Arme fest um meinen Rücken gepreßt. Ihr Name trieb mir im Kopf herum. Ich weiß, daß ich ihr weh tue. Ihre Fäuste auf meinem Rücken tun mir weh. Meine Augen weit geöffnet und voll Tränen. Ich wollte für alles in ihr geöffnet sein. Nichts bebte in ihr. Ich hielt ihre ganze kräftige Schlankheit umfaßt. Meine Arme spannten sich, wurden schlaff, spannten sich erneut.
    Jenseits des Parks drunten stand ein einzelner Baum, blattlos von der wahnwitzigen Sonne. Mit ausgebreiteten Armen an die Astgabelung gebunden, der Kopf so weit nach vorn hängend, daß das Genick gebrochen sein mußte, hing Grünauge. Blut sickerte seinen Arm hinunter, wo das Seil eingeschnitten hatte.
    Sie wand sich in meinen Armen, sie schaute mich an, schaute dorthin, wohin ich schaute, und verdeckte mir rasch mit den Händen die Augen. Allein in ihren dunklen Händen erkannte ich die Musik. Polyphonisch jetzt und von Fremden getanzt, war sie der Trauergesang des Mädchens, das mir jetzt die Augen zuhielt, gespielt für den erwürgten Prinzen.
    Unter der Musik flüsterte eine Stimme. »Sei vorsichtig, Lobey.« Es war die Stimme der Taube. »Willst du es wirklich so genau sehen?«
    Die Finger blieben über meinem Gesicht.
    »Ich kann in deinen Kopf wie in einen Gang hinunterschauen. Du bist gestorben, Lobey. Irgendwo im Regen und Fels bist du gestorben. Willst du dir das dort wirklich genau ansehen …«
    »Ich bin kein Gespenst!«
    »O ja, du bist ganz wirklich, Lobey! Aber vielleicht …«
    Ich schüttelte den Kopf erneut, aber die Dunkelheit wich nicht.
    »Willst du etwas über Kid Death hören?«
    »Ich will alles hören, was mir hilft, ihn zu töten.«
    »Dann höre. Kid Death kann nur die ins Leben zurückbringen, die er selbst daraus weggenommen hat. Er kann nur die Nabel behalten, die er selbst gemäht hat. Aber weißt du, wer dich zurückgebracht hat vom …«
    »Nimm deine Hände fort!«
    »Du mußt die Wahl treffen, Lobey schnell!« flüsterte die Taube. »Willst du sehen, was vor dir liegt, oder willst du nur sehen, was du vorher schon gesehen hast?«
    »Die Hände. Ich kann überhaupt nichts sehen, mit deinen Händen vor meinem …« Ich brach ab, entsetzt über das, was ich soeben gesagt hatte.
    »Ich bin sehr geschickt in dem, was ich tue, Lobey.« Licht sickerte ein, ebenso sanft, wie der Druck nachließ. »Ich habe dieses Talent entwickeln müssen, um zu überleben. Du kannst die Gesetze der Welt, die du dir ausgesucht hast, nicht ignorieren …«
    Ich packte die Handgelenke und zog die Hände herunter. Die Hände der Taube leisteten nur einen Augenblick lang Widerstand, dann fielen sie herab. Grünauge war immer noch an den Baum drunten gefesselt.
    Ich packte die Taube am Arm. »Wo ist sie?« Ich blickte mich auf der Terrasse um. Ich schüttelte sie, sie wich bis ans Gitter zurück.
    »Ich verwandle mich in das, was du liebst, Lobey. Das gehört zu meinem Talent. Deshalb kann ich die Taube sein.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Aber du …«
    Sie rieb sich die Schulter. Ihre Hand glitt unter den Silberstoff. Er verschob sich unter ihren Fingern.
    »Und sie …« Ich deutete auf die Tänzer. Die Kinder hielten sich immer noch an den Händen, sie

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