Einstein überquert Die Elbe Bei Hamburg: Erzählungen
ebenso entgeistert wie ich, als sie Vaters Heiterkeit bemerkten und später die ausgelassene Genugtuung, als er oben auf der Treppe Adam Kuhl begrüßte.
Wer das ist? Er ist auch in Marggrabowa geboren, wie Vater,
sie kennen sich seit ihrer Jugend. Kuhl ist bei der Post gewesen, jetzt trat er als Belastungszeuge auf. Stell dir vor, Vater hatte ihn nicht nur aufgestöbert, sondern auch seiner Erinnerung aufgeholfen; um seinen Prozeß zu bekommen, hat er für den Belastungszeugen gleich selbst gesorgt. Wir sahen, daß er Adam Kuhl bei der Begrüßung etwas schenkte; seine Gesten, die ganze Art, wie er den Mann behandelte, der gegen ihn zeugen sollte, verrieten Dankbarkeit. Er nahm ihn vorsichtig beim Arm, und so, wie sie ins Justizgebäude gingen, mit gesenktem Gesicht, eng nebeneinander und lächelnd, hätte man sie für Komplizen halten können, die sich etwas vorgenommen haben. Eben, auch wir waren zuversichtlich. Du meinst, wo die Verhandlung stattfand? Nicht mal im Saal, wir nahmen einfach das große Untersuchungszimmer, da fiel es nicht so auf, daß kein Publikum anwesend war, aber Vater war so begeistert, daß ihm nichts fehlte. Er hatte seinen Prozeß, und du hättest den Eifer sehen sollen, mit dem er den Stuhl des Angeklagten besetzte, und den noch größeren Eifer, mit dem er Olafs Fragen zur Person beantwortete. Olaf hatte die Anklage übernommen, ich machte den Beisitzer, Dieter gab den Richter ab, Günter spielte den Pflichtverteidiger. Solch einen Angeklagten wie Vater hat die ganze Staatsanwaltschaft noch nicht erlebt. Auf jede Frage zur Person gab er mindestens drei Antworten, nicht nur bereitwillig, sondern besessen von dem Wunsch, dem Gericht ein Bild seiner selbst zu liefern, und schon hier spürtest du, wie methodisch er darauf aus war, sich bloßzustellen. Alles, jede Auskunft, färbte er sozusagen zur Selbstanklage ein Nein, Christine, er klagte sich nicht an, weil er auf mildernde Umstände aus war; ich hatte vom ersten Augenblick an das Gefühl, daß er verurteilt werden wollte. Du hättest dabei sein müssen, wie er seine berufliche Laufbahn schilderte: also, seine Doktorarbeit hat ihm ein Kollege geschrieben, von der Albertina hat man ihn verwiesen, weil er als älteres Semester einen verbotenen Eingriff vornahm, durch eine Denunziation seines Vorgängers ist es ihm überhaupt gelungen, Amtsarzt zu werden. So begann er.
Ob das die Wahrheit ist? Ja, Christine, ich fürchte, das ist die Wahrheit. Zuerst, weiß du, als er in dieser Art anfing, sich zu bezichtigen, als er so dastand und sich drehte und sich um Glaubwürdigkeit bemühte, da warfen wir uns natürlich Blicke zu, belustigt: Also so läuft der Hase. Aber wir sahen bald ein, daß wir uns täuschten und daß alles, was er gegen sich vorbrachte, mehr oder weniger der Wahrheit entsprach. Mehr oder weniger: damit meine ich, daß es seiner subjektiven Wahrheit entsprach. Die Freude, mit der er sich in Verruf brachte! Die Ungeduld, mit der er dem Gericht seine Verfehlungen anbot! Wenn Olaf sprach, schüttelte Vater den Kopf oder gab durch abwehrende Handbewegungen zu verstehen, daß er mit seinem Ankläger nicht einverstanden war: er fühlte sich nicht genug bloßgestellt, nicht ausreichend gebrandmarkt, und manchmal ging es einfach mit ihm durch, er sprang auf, nahm das Wort und verstärkte und erweiterte nicht nur die Anklage, sondern machte dem Gericht Vorwürfe. Warum? Weil nicht schon früher Anklage gegen ihn erhoben wurde; er glaubte, daß die Gründe, die er im Laufe der Zeit dem Gericht zur Kenntnis gab, allesamt zur Anklage ausgereicht hätten.
Du hast recht, Christine, in dem Katalog, den er uns anschleppte, waren beachtliche Verfehlungen, aber die waren so universal, trafen auf so viele zu, daß wir sie nicht berücksichtigten. Was sollten wir machen? Er wollte zum Beispiel dafür verurteilt werden, weil er im Krieg war und beschwören konnte, daß durch seine Mitwirkung zwei oder drei Soldaten getötet wurden, feindliche Soldaten. Welch ein Recht sollten wir da anwenden? Wir taten's mit Befehlsnotstand ab. Ja, das trifft zu: diesmal hatten wir uns etwas Konkretes, Überschaubares ausgesucht, eine Sache, die er uns zuletzt aufgetischt hatte und die wir deshalb verfolgen wollten, weil es ihm gelungen war, einen Belastungszeugen beizubringen. Eben Adam Kuhl.
Von mir aus noch ein Glas, aber nicht ganz voll. Danke. Also stell dir vor, das große Untersuchungszimmer, Vater eifrig und glücklich auf dem Stuhl des
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