Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition)
des
Mädchens im Pool gewesen waren.
Fast kam
ich mir nach so vielen Ausflüchten und Entschuldigungen vor wie der Protagonist
in einem dieser uralten Entwicklungsromane, der nach einem Parcours innerer und
äußerer Katastrophen in den sogenannten aufgeklärten Zustand gelangt und am Ende
sogar moralisch besser wird.
20
Als ich mich nach ihr umwandte,
war sie zwischen Hollys Freundinnen verschwunden. Ich glaube, ich hätte sie gar
nicht mehr wiedererkannt, so unscheinbar, wie sie mit ihrer flachen Bluse aussah.
Ich nahm noch einmal das TIME Magazine zur Hand, um den Rest des Interviews zu lesen.
»Und?«,
fragte Holly. »Zufrieden?«
»Bis auf
Kleinigkeiten. Ich hätte hinzufügen sollen, dass nicht völlig klar ist, ob die offensichtliche
Negativität der Schöpfung im Fall unserer guten Bemühungen tatsächlich verschwindet.«
»Was …?«
»Ob Gott
die Sache so oder anders angelegt hat.«
»Anders
angelegt?«
»Hat ein
Gott die Welt geschaffen, so schuf er den Menschen zum Affen Gottes als fortwährenden
Anlass zur Erheiterung in seinen allzu langen Ewigkeiten.«
»Du redest
wie ein kleiner Klugscheißer.«
»Es ist
ein Zitat von Friedrich Nietzsche.«
»Trotzdem
Klugscheißer …«
»Könnten
nicht auch Klugscheißer manchmal recht haben?«
»Schon möglich.
Aber musst du es jeden spüren lassen?«
»Es gibt
viele Beispiele für intellektuell ungleiche Beziehungen. Nehmen wir nur unseren
alten Geheimrat Goethe und sein Verhältnis zur 17-jährigen Ulrike von Levetzow.«
Beim Ausdruck
»intellektuell ungleiche Beziehung« zuckte Holly unmerklich zusammen. Es traf offenbar
einen Nerv bei ihr. Ihre Augenbrauen kräuselten sich auf diese unnachahmliche Weise,
die mich immer umwarf …
»Natürlich
können wir nicht damit rechnen, dass in der Schöpfung ein Zusammenhang zwischen
menschlichen Absichten und der Existenz von Malariastechmücken, Naturkatastrophen
und Aidsviren besteht«, sagte sie. »Das wären ja so was wie unsichtbare morphologische
Felder, die auf unseren guten Willen reagieren.«
Diesmal
war ich an der Reihe, sie verblüfft anzustarren.
»Was ist
passiert Holly? Hast du irgendein schlaues Seminar besucht?«
»Nicht alle
hellblonden Hollywoodschauspielerinnen sind zwangsläufig blöd.«
Ich sagte,
ich sei nur etwas überrascht darüber, dass sie sich plötzlich als Frau mit Tiefgang
entpuppe. Mir schwänden ohnehin schon die Sinne in ihrer Nähe, und danach würde
ich wohl wieder ein paar schlaflose Nächte haben.
»Du bist
süß«, sagte sie. »Massier mir doch bitte noch mal den Nacken, ja? Du weißt, dass
mich das entspannt.«
Als meine
Nasenspitze versehentlich ihre Haut berührte, verfiel ich schlagartig in katathyme
Starre. Ihre Hormone schienen eine betäubende Wirkung auf mich auszuüben. Sie roch
nach Jasmin und Flieder, nach Rosen und Lavendel …
»Was ist
los, Albert?«, fragte Holly. »Du wirst mir doch nicht ohnmächtig?«
»Ich finde,
wir sollten jetzt mal für ein halbes Stündchen miteinander ins Bett gehen. Deine
verdammten Partygäste kommen auch ohne uns zurecht.«
Es war mein
ernster Versuch. Ich meine, wozu noch Ausflüchte bei erwachsenen Menschen, die so
offensichtlich füreinander bestimmt sind?
Aber Holly
nahm mich einfach bei der Hand und schleppte mich nach nebenan zum Büfett.
Inzwischen
war der Küchenservice da gewesen – und ich rieb mir verblüfft die Augen. Holly rechnete
wohl mit zwei- bis dreitausend Gästen, denn es gab so ziemlich alles, was sich ein
Metzgerherz ausdenken konnte:
Gebratene
Stierhoden, Truthahn, Saumagen in Buttermilch, Eisbein, Gefüllte Gans, Wildschwein,
Lammrücken, bayrische Weißwürste, Pekingente, Zwiebelrostbraten, Putenkeulen, Arabischen
Hackbraten, …
»Glaubst
du eigentlich an Karma?«, fragte ich.
»Die meisten
Schauspieler glauben daran.«
»Also ist
der Verzehr von Fleisch ziemlich riskant?«
»Ich esse
zwar Steaks, aber ich glaube, es hat einen schlechten Einfluss auf die Atmosphäre.«
»Jemand
hat mal gesagt: Viele Entscheidungen, die in Washington, Peking oder Brüssel getroffen
werden, sind so weitreichend, dass man sie nicht durch den privaten Verzicht auf
ein Schnitzel oder ein paar Fischstäbchen korrigieren kann.«
»Ja, mag
sein.«
»Also ist
der Einfluss der Frikadelle auf das Weltbewusstsein zweifelhaft.«
»Bis wir
die Wahrheit herausgefunden haben, sind wir längst verhungert. Iss dich heute Abend
mal richtig satt, Albert. Du wirst deine Kraft noch brauchen.«
Mit
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