Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition)
Porträts bei sich tragen, um nachzuschlagen, ob es sich um einen Nachbarn
oder Verwandten handele.
Als ich vor dem schlossähnlichen
Gebäude stand, in dem mein Zahnarzt residierte, knallte die Sonne so stark auf seine
plakatwandgroße Messingtafel, dass ich völlig geblendet war. Ich hätte keinen Fünfundvierziger
Colt mehr von einer Sammelbüchse der Heilsarmee unterscheiden können.
An der Theke
verrichteten zwei Schönheitsköniginnen ihren Dienst. Ich fragte die eine, ob sie
abends mit mir ausgehen wolle, aber genauso gut hätte ich mich auch nach ihrer Schuhgröße
erkundigen können. Sie fand meinen Namen in ihrem Terminkalender und brachte mich
ins Allerheiligste von Dr. McCain. Es war stockfinster dort und alle Wände waren
verspiegelt. Der Behandlungsraum sei nach neuesten Erkenntnissen der Verhaltenstherapie
eingerichtet, war auf einer beleuchteten Tafel zu lesen. Da der Patient, wohin er
auch blicke, immer sich selbst sehe, werde automatisch die Aufmerksamkeit von seiner
Angst vor dem Zahnarzt abgezogen.
»Und der
Arzt?«, fragte ich. »Den sieht man doch auch überall?«
Zur Beruhigung
bekam ich eine Pille und durfte am Inhalator ziehen, damit sich meine Muskeln entspannten.
Dann wurde mein Mund mit ätzender Flüssigkeit ausgespült.
Ich bekam
sofort einen Asthmaanfall, aber außer mir schien das niemanden zu stören. Doktorchen
hatte einen blöden Suchscheinwerfer auf der Stirn, mit dem man eine ganze Tropfsteinhöhle
ausleuchten konnte. Er sah mir in den Mund und sagte: »Großer Gott …«
»Was ist
los?«
»Muss alles
raus … nein, Scherz beiseite. Aber Ihr Körper hat irgendein Defizit. Vielleicht
ist es auch eine Vergiftung. Nehmen Sie Drogen?«
Offenbar
wollte er meine Antwort gar nicht hören, sondern gab mir gleich einen Termin für
meine Stiftzähne und eine Überweisung zum Spezialisten.
Es war der Anfang meiner Genesung,
der Beginn eines neuen Lebens. Ich kam langsam wieder auf die Beine. An diesem Tage
aß ich sage und schreibe drei Äpfel. Das kommt der Empfehlung der Ernährungswissenschaftler
ziemlich nahe, fünfmal täglich Obst zu essen. Wegen meiner beiden fehlenden Schneidezähne
musste ich die Äpfel in winzige Stücke schneiden.
Die Folgen
von häufigem Crackkonsum sind verheerend. Crack erzeugt die stärkste Abhängigkeit
aller Drogen. Glücklicherweise war Doktor Trousson Spezialist auf dem Gebiet. Er
machte einige Tests mit mir und befand, dass sich mein Körper gegen die Vergiftung
wehrte.
»Allerdings
haben Sie jetzt das Gehirn eines 30-Jährigen«, sagte er nach der Untersuchung.
»Was wollen
Sie denn damit andeuten? Dass ich eine Art Frühentwickler bin?«
»Nein, Crack
kann zu künstlicher Alterung führen. Sie sehen zwar aus wie ein 14-Jähriger. Aber
Ihr Gehirn ist etwa doppelt so alt.«
»Hilft mir
das, meine Probleme zu bewältigen?«
»Ihr Hauptproblem
ist die psychische Abhängigkeit von Lustgefühlen, weil Ihr Dopaminhaushalt gestört
ist. Glauben Sie, dass Sie zu den seltenen Ausnahmen gehören, die das überwinden
könnten? Andernfalls möchte ich Sie jetzt bitten, mein Sprechzimmer zu verlassen
…«
»Sie werfen
mich hinaus?«
Doktor Trousson
schüttelte den Kopf und verschrieb mir eine ganze Palette von Entgiftungs- und Stärkungsmitteln,
Tropfen und Tabletten wie Benzodiazepin, ß-Blocker, Nitroglyzerin, Dobutamin und
Phentolamin. Alles müsse genau nach Plan eingenommen werden, dann hätte ich das
Schlimmste überstanden.
Ich wollte
gerade mit dem Rezept in der Hand seine Praxis verlassen, als er sagte:
»Sie haben
mich falsch verstanden. Jetzt kommt erst die eigentliche Behandlung …«
Mit diesen
Worten öffnete er die Tür zum Nebenzimmer und bat mich, in einem schwarzen Ledersessel
Platz zu nehmen.
»Ihr Entzug
wird sich in verschiedenen Verkleidungen zeigen. Als Depression oder Verzweiflung,
als Pessimismus oder Schwäche, vielleicht auch als körperlicher Schmerz. Aber im
Kern ist es immer dasselbe – es tut weh. Das ist das Problem, das wir haben. Nur,
gedachte Probleme sind keine echten Probleme. Probleme müssen gefühlt werden.«
»Damit rennen
Sie bei mir offene Türen ein«, sagte ich. »Haben Sie mein Interview mit dem Dalai
Lama gesehen?«
»Vergessen
Sie den Stuss, den uns Psychologen und Esoteriker über Gefühle einreden wollen.
Schließen Sie einfach die Augen und richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf das erste
Unbehagen oder Wohlgefühl, das Ihnen in den Blick kommt.«
»Stammt
das aus dem Internet? Oder aus
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