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Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition)

Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schmidt
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den Anfang einer Kausalreihe,
wie Kant glaubte? Oder um durchgehende Kausalketten, die bis zum Urknall zurückreichen
und deren jede einzelne Bedingung wiederum das Glied einer andere Kausalkette ist?«
    »Besser
hätte ich es selbst nicht formulieren können«, bestätigte er. »Für Willensfreiheit
ist in den Kausalketten kein Platz. Es sind die feuernden Neuronen, die uns festlegen.«
    »Darüber
würde ich gern mit Ihnen diskutieren«, sagte ich und gab ihm sein Manuskript zurück.
    »Du musst
ja völlig durchgefroren sein nach der Nacht da draußen? Gehen wir erst einmal frühstücken
…«

33
     
    »Der Kasus Knacktus ist doch, ob
wir uns ursacheloses Geschehen vorstellen können«, sagte Trousson. »Sonst ist die
menschliche Willensfreiheit nur Illusion. Mörder, Sittenstrolche, Kinderschänder
… Hitler, Stalin, Mao, Pol Pott … die ganze Politikerbande, alle wären Opfer ihrer
feuernden Neuronen und nicht wirklich verantwortlich.«
    »Wäre unser
Denken nur das Ergebnis feuernder Neuronen, dann bliebe völlig unverständlich, wieso
Einsichten Handlungen veranlassen können«, gab ich zu bedenken. »Zwei mal zwei ist
nicht gleich vier, weil die Neuronen es so bestimmen, sondern weil es in der Sache
als erfasste Bedeutung liegt. Handeln aus Einsicht findet auf der Bedeutungsebene
statt, nicht auf der neuronalen Ebene – was die unmittelbare Verursachungsfunktion
der feuernden Neuronen aushebelt und sie zur bloßen organischen Basis des Denkens
macht.«
    »Gut argumentiert,
zugegeben … vielleicht sollte ich deinen Gesichtspunkt in meine neue Arbeit aufnehmen?«
    »Gleiches
gilt für unsere Motive. Wir fliehen vor einem hungrigen Tiger, weil wir erkennen,
dass wir in Gefahr sind. Falls nicht, werden wir Opfer unserer Dummheit, und die
mag durchaus neuronal bedingt sein. Aber ist der letzte Grund für unsere Flucht
das Spannungspotenzial von Neuronen?«
    »Die Bestimmung
unseres Handelns durch Erkennen wäre immer noch Determinismus, oder?«
    »Ob der
gesamte Vorgang – materielle Basis plus Geist, der sich in Bedeutungen bewegt –
völlig determiniert ist, darüber kann gegenwärtig nur spekuliert werden. Die Arbeitshypothese
des strengen Determinismus wird in der Quantenmechanik in Frage gestellt.«
    »Obwohl
wir im Alltag ohne Wenn und Aber vom Kausalprinzip ausgehen …?«
    »Was nichts
daran ändert, dass Materie und Energie weiter mysteriös bleiben. Niemand kann sagen,
ob die Unbestimmtheit der Quantenphysik real oder nur Nichtbeobachtbarkeit ist.
Wir wissen auch nicht, worum es sich bei der sogenannten spukhaften Fernwirkung
handelt. Also der augenblicklichen Beziehung eines verschränkten Elementarteilchens
zu einem anderen, selbst wenn beide Lichtjahre voneinander entfernt sind. Es ist
auch unmöglich, zu entscheiden, ob Materie und Energie von der Existenz eines Beobachters
abhängen. Selbst der sogenannte leere Raum scheint gar nicht leer zu sein, sondern
ist bereits Seiendes mit Krümmungen und Quantenfluktuationen. Aber was krümmt sich
da eigentlich? Etwa das Nichts?
    Außerdem
sind die neuronalen Beziehungen des Gehirns zum Bewusstsein lediglich korrelativer
Art. Und aus Korrelationen lassen sich nun einmal niemals Qualia von Bewusstsein
und Willensentscheidungen herleiten. Korrelation gleich Ableitung und Erklärung
zu setzen, ist der Kategorienfehler der Hirnforschung.«
    »Soll das
heißen, ich hätte meine Jahre mit unnützen Spekulationen vertan?«
    »Nein, so
weit würde ich nicht gehen, Professor. Aber es wäre unredlich, Spekulation als sicher
auszugeben, die uns soviel Nachteile einbringt wie die Leugnung der Willensfreiheit.
Determinierte Automaten zu sein, enthebt uns jeder Verpflichtung, moralisch zu handeln.
Dann dürfen wir uns immer darauf berufen, dass wir nicht anders konnten.«
    Trousson
hüstelte unwillig und schlug den Kragen seines Morgenmantels hoch, als fröstele
ihn. Schließlich nahm er sein Manuskript vom Schreibtisch im Nebenzimmer und ging
damit hinüber zum Kamin.
    An der Feuerstelle
wandte er sich noch einmal nach mir um, und diesmal lag tatsächlich so etwas wie
der Anflug eines Lächelns auf seinem Gesicht.
    »Also, ins
Feuer damit …?«
    »Das ist
eine Entscheidung, die Ihnen niemand abnehmen kann, Professor.«
     
    Als ich an diesem Tage Troussons
Haus verließ, war es, als habe ein Dämon kurz über den Dachfirst geschaut, um einen
alten Mann von dem vergeblichen Versuch abzubringen, doch noch die Schleier des
Bewusstseins zu lüften. Er hatte mir zum

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