Einsteins Gehirn: Kriminalroman (German Edition)
er und streckte seine Hand aus. »Schön, Sie gesund
und wohlbehalten in Rom begrüßen zu dürfen, Albert.«
»Darf ich
fragen, wozu Sie uns in diesen Hinterhof verschleppen?«
»Oh, wir
haben doch eine Vereinbarung?«
»Vereinbarung
– welcher Art?«
»Hat denn
unsere Redaktion noch keine Verbindung mit Ihnen aufgenommen?«
»Ich erinnere
mich vor allem an den Satz: ›Selbstverständlich übernehmen wir die Reisekosten,
wenn Sie uns ein Exklusivinterview gewähren‹.«
»Sie bekommen
Ihr Honorar nach Auswertung des Interviews.«
»Da liegt
der Hase im Pfeffer. Schließlich handelt es sich um ein vertrauliches Gespräch mit
dem Papst.«
»Und unsere
Vereinbarung?«
Ich gab
Monsignore Gulliver ein Zeichen und wir ließen den Geheimagenten einfach auf seinem
dunklen Hinterhof zurück. Es war, als seien alle Zuschauer auf den umliegenden Balkonen
Zeugen unseres Deals gewesen, denn einige klatschten verhalten Beifall.
»Hab ich
Ihnen mit meiner Weigerung etwa ein kleines finanzielles Zubrot vom TIME Magazine
verhagelt?«, fragte ich, als wir in Gullivers Ente stiegen.
»Nein, ich
wäre sogar verpflichtet gewesen, Monsignore Gänswein, den Privatsekretär des Papstes,
von Ihrer Absicht zu unterrichten.«
»Was bedeutet
das?«
»Audienzverbot.«
»Danke für
Ihre Offenheit, Monsignore …«
»Ich bin
nur ein einfacher römisch-katholischer Pater«, wehrte Gulliver ab. »Echte Monsignores
bekommen ihren Titel ausschließlich vom Papst verliehen, für besondere Verdienste,
zum Beispiel Ehrenprälaten, Kapläne Seiner Heiligkeit oder Apostolische Protonotare.«
An der Pforte Sant’ Anna nahm uns
ein Oberstleutnant der Schweizer Garde in Empfang. Er war die Zuvorkommenheit in
Person, als sei jeder Besucher des Papstes sein persönlicher Freund. Die Seconda
Loggia mit der Privatbibliothek ist der zweite Stock im Apostolischen Palast, eine
Etage unter den Wohn- und Arbeitsräumen des Papstes.
Wir durchquerten
den Innenhof mit salutierenden Gardisten und betraten einen Lift, der von einem
etwa 99-jährigen livrierten Fahrstuhlführer bedient wurde. Er war so zittrig, dass
er sich am Messinghebel des Schaltpults festhalten musste.
»Sind Sie
nicht Albert Pottkämper, das weltberühmte Wunderkind?«, flüsterte er auf Deutsch
und gab mir die Hand. »Herzlichen willkommen bei Gott.«
»Gott ist
überall, außer in Rom, denn da hat er nämlich seinen Statthalter …«
»Altes deutsches
Sprichwort«, kicherte Pater Gulliver.
Draußen
im Gang kam uns eine pfeifende Nonne mit einem Wäschekorb entgegen. Sie war um die
40 und gut im Fleische, wie man zu sagen pflegt. Ihre wiegenden Hüften erinnerten
an die üppigen Formen auf Michelangelos Fresken in der Sixtinischen Kapelle. Pater
Gulliver warf ihr einen schmachtenden Blick nach.
»Für eine
Nonne im Vatikan gar nicht übel«, sagte er. »Sieh dir bloß diesen Hintern an …«
»Mädchen,
die pfeifen und Hühnern, die krähen, sollte man den Hals umdrehen.«
»Auch ein
deutsches Sprichwort …«
»Nanu, Hans,
haben Sie etwa Germanistik studiert, bevor Sie in den Dienst des Heiligens Stuhls
traten?«
Ehe Pater
Gulliver antworten konnte, öffnete sich eine doppelte Glastür im Korridor. Da stand
er nun lächelnd in der breiten Flügeltür: der hochwürdige Herr Prälat Dr. Georg
Gänswein alias Don Giorgio. Schwarm der Frauen und Liebling der Presse. Als Privatsekretär
lebte Gänswein in enger Tuchfühlung mit dem Papst, direkt über Benedikts Wohnung.
»Albert
…?« Er drückte mir mit festem Griff die Hand. »Gehen wir gleich hinüber in die Privatbibliothek.
Der Heilige Vater ist schon auf dem Wege.«
Im Gang
war das Rumpeln eines zweiten Fahrstuhls zu hören und neben der Fahrstuhltür salutierten
Schweizer Gardisten. Gänswein hatte es plötzlich sehr eilig, noch vor dem Heiligen
Vater in der Bibliothek anzukommen.
»Er will
immer perfekt sein«, flüsterte Pater Gulliver mir zu. »Wenn das Timing nicht stimmt,
bekommt er schon mal einen Nervenzusammenbruch.«
35
Die Bibliothek des Papstes war ein
heller freundlicher Raum mit Perserteppichen und Bücherschränken aus dunklem Holz.
»Sie sind
doch nicht aufgeregt?«, flüsterte Gänswein und legte fürsorglich seinen Arm um meine
Schulter.
Ich murmelte,
seit meiner letzten Begegnung mit sprechenden Kleiderschränken sei mein Schreckzentrum
stillgelegt. Was daher komme, dass die verschmorten Nervenenden, die den Serotoninfluss
weiterleiten sollten, durch exzessiven Crackgenuss
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