Einundzwanzigster Juli
verlassen Sie sich drauf!«
»Scheren Sie sich zum Teufel!«, brüllt Oberst Bonin in einem Ton zurück, der dem anderen fast die Mütze vom Kopf pfeift. »Generaloberst Vietinghoff hat Verstärkung zugesichert. Der gesamte Transport steht ab sofort unter dem Schutz der Wehrmacht!«
Als der Bader und der Lächler aus der Dorfgaststätte gehetzt kommen, wo ihnen die Wachen Meldung über unseren »Ausbruchsversuch« erstattet haben, finden sie die Lage erheblich verändert. Ein Häuflein Wehrmachtssoldaten, das zu dem General auf der Straße gehört und eigentlich bereits dabei war, aus dem Dorf abzuziehen, umstellt uns mit Maschinenpistolen und wirft der Übermacht der SS und SD drohende Blicke zu; gleichzeitig erklärt General Garibaldi mit großer Geste, Niederdorf sei ein Hauptquartier der Partisanen, er selbst der Befehlshaber und mehrere Partisanengruppen seien bereits auf dem Weg ins Dorf, um die Wehrmacht hinauszuwerfen.
Ich weiß nicht, ob es an den beiden schlaflosen Nächten liegt, aber aus irgendwelchen Gründen bin ich schwer von Begriff. Durch die dicht gedrängte Menge, die atemlos lauscht, wie man um uns streitet, schiebe und schubse ich mich ein Stück nach vorn.
»Onkel Teddy?«, frage ich. »Sind wir gerade befreit worden?«
Er legt den Arm um mich. »Ich würde sagen, noch nicht ganz. Sie müssen sich erst einigen, wer dazu befugt ist.«
Die Nacht zum 29. April, der unser Todestag hätte werden sollen, verbringen wir unter Bewachung in verschiedenen Häusern des Dorfes – eine Bewachung diesmal, die zu unserem Schutz aufgestellt wurde. Die Offiziere, auch Max und Onkel Teddy, haben Waffen erhalten, um uns mit den wenigen anwesenden Wehrmachtssoldaten verteidigen zu können: vor dem wutschnaubenden Bader und seiner Mannschaft, aber auch vor einem Partisanenangriff, der die Wehrmacht schwächen könnte, bevor Verstärkung eintrifft.
Wenn Leute aus unserer Häftlingsgruppe Waffen erhalten, sind sie keine Häftlinge mehr. Wenn sie keine Häftlinge mehr sind, sind sie frei. Und wenn sie frei sind, dann auch wir – oder? Ganz sicher bin ich noch nicht.
Am Nachmittag hatte man uns zu einer Versammlung im Hotel »Bachmann« zusammengerufen. Auf drei Stühlen standen Oberst Bonin, Mr Best und der Lächler, der dem Namen, den ich ihm in Dachau gegeben habe, durch fortwährendes Grinsen noch einmal alle Ehre machte. Sie verkündeten erst auf Deutsch, dann auf Englisch, Obersturmführer Stiller übergebe uns hiermit dem Kommando der Wehrmacht und der Stellvertreter des bereits geflohenen Gauleiters begrüße uns herzlich als Gäste des Landes Südtirol.
Gleichzeitig betranken (und betrinken sich immer noch) in der benachbarten »Krone« der Bader und seine Leute und reden unbeirrt vom Umlegen. Wutentbrannt und ohne noch den geringsten Schein von Geheimhaltung zu wahren, hat er erklärt, er habe einen Auftrag von seinem Chef Kaltenbrunner und der sei erst beendet, »wenn die Leute nicht mehr leben«.
Max meint, der Bader könne wahrscheinlich gar nicht anders. Man habe ihm einen Auftrag gegeben und nun ticke der in seinem Kopf, und kein Verstand sei da oben im Wege, der wisse, wie man einen unsinnig gewordenen Befehl ausschaltet.
Ich frage mich, ob Max glaubt, dass das für uns eine beruhigende Bemerkung war.
Im Gemeindehaus, wo ein Teil der Häftlinge auf Strohsäcken im Erdgeschoss schläft, wird noch in der Nacht der Lächler dabei beobachtet, wie er Papiere verbrennt. Es dürfte sich um einen Exekutionsbefehl gehandelt haben, den er für mehrere Personen unseres Transports die ganze Zeit bei sich getragen hatte, während er uns noch weiszumachen versuchte, wir alle reisten unserer Befreiung in einem Alpenhotel entgegen.
Der Lächler hat aufgegeben, der Bader noch nicht, und was wir von italienischen Partisanen zu erwarten hätten, liegt für mich völlig im Dunkeln. Offen gestanden verspüre ich nicht das Bedürfnis, mir dies zusätzlich zum Bader auch noch auszumalen.
Doch die erste Nacht bleibt ruhig, und am Vormittag dürfen wir uns nach vorsichtiger Erkundung der Lage durch Oberst Bonin sogar frei im Dorf bewegen. Eine wahre Welle von Hilfsbereitschaft hat den gesamten Ort erfasst. Lebensmittel, Kleidung, Obdach ... jeder scheint den anderen an Gastfreundschaft übertreffen zu wollen. Mutter, Ina und ich werden spontan an den Tisch einer alten Lehrerin eingeladen, wo gefüllte Hefeknödel auf uns warten!
»Seid’s aber vorsichtig«, mahnt die rührende alte Dame, »ihr seid’s ja
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