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Einundzwanzigster Juli

Titel: Einundzwanzigster Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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geredet, aber gesagt habe ich nichts.
     

S IEBZEHN
    Seltsames Gefühl, auf diejenigen hoffen zu müssen, die unsere Todfeinde sind! Als wir am Abend in fünf Omnibusse steigen, ist nicht zu erkennen, ob die SS, die alle Einsteigenden kontrolliert, sich gegen uns oder ihre Kameraden vom SD so scharf bewaffnet hat. Die Blicke, die zwischen ihnen hin und her gehen, verheißen Wachsamkeit und Misstrauen.
    Und ist es Zufall, dass die Familie von Lautlitz von allen fünf Omnibussen schon wieder ausgerechnet den erwischt hat, in dem die Munitionskiste mitfährt?
    Als Erstes, gleich nach einem Motorrad an der Spitze, startet der Partybus. Darin sitzen die Engländer und Fräulein Vermehren und singen, was ihre Kehlen hergeben; einen großen rothaarigen Sergeant namens Cushing sehen wir einen wilden Rhythmus auf Fensterscheiben und den Kopf seines Vordermanns trommeln. Im nächsten Bus rollen die dänischen, polnischen und russischen Offiziere an uns vorbei, mit dem gleichen ernsten, besorgten Geradeausblick, der auch in unserem Fahrzeug vorherrscht. Das Bewusstsein von Gefahr scheint, je nach Nationalität, ganz unterschiedliche Reaktionen hervorzurufen!
    Der Konvoi biegt auf die Straße zum Brennerpass. Es geht stetig, aber sehr langsam bergan, mehr als fünfzehn Kilometer die Stunde schaffen die überladenen Busse nicht. Schneebedeckte Bergspitzen leuchten im Sonnenuntergang, stechen aus tief liegenden Wolken wie kleine Schlösser. Es wird kälter, je höher wir aufsteigen, und ich reibe mir ein Guckloch auf dem beschlagenen Fenster frei. Im Tal blitzen mehr und mehr Lichter auf. Hier ein ganzes Dorf, dort ein einsames Gehöft.
    »Dort unten haben wir einmal Urlaub gemacht«, höre ich Mutter leise neben mir sagen. »Du warst sieben oder acht, weißt du noch?«
    Ich nicke. Ich erinnere mich, wie überwältigend die Fahrt mit der Bergbahn war, deren Trümmer nun verstreut in den Abhängen links und rechts der Straße liegen. Wieder muss ich an meinen Flug mit Lexi denken, an die unzerstörten Dörfer, die wir aus der Luft gesehen hatten. Gibt es sie noch? Wie sähe Europa aus, wenn der Plan meiner Onkel aufgegangen wäre? Wer könnte noch leben, wer besäße noch ein Dach über dem Kopf oder seine Hände und Füße oder die Menschen, die er liebt? Selbst die majestätischen Berge hat der Krieg nicht verschont. Keine Ehrfurcht, vor nichts. Alle Regeln verletzt. Und ich? Ich habe es schon erlebt, als sie Piotr in den Brunnen warfen, und habe nicht begreifen wollen.
    Wenn sie mich töten, kann ich es nie wiedergutmachen!
    Gutmachen ... erschrocken stoße ich das Wort beiseite. Ein unverzeihliches, beschämendes Wort, fast so schlimm wie das, was ich getan habe. Gutmachen kann man das nicht!
    Aber damit leben kannst du auch nicht, Klexchen.
    Ich weiß, denke ich. Keiner von euch konnte das. Ihr hattet euch geirrt und eigentlich war es bereits zu spät, aber ihr musstet dennoch etwas tun. Nichts wiedergutmachen, nein. Nur ein Zeichen setzen. Eine neue Startlinie.
    Wer dorthin möchte, flüstert diese neue Stimme in meinem Kopf, muss ein ganzes Stück zurückgehen!
    Und dann? Was könnte ich tun? Aber eine weitere Antwort bekomme ich nicht. Soll wohl selber weiterdenken.
    Bleib bloß hier, Tante Lexi!, denke ich. Deine Stimme tut gut und ich höre Ellen nicht mehr.
    Und mit diesem hoffnungsvollen Gedanken, der sich augenblicklich wie eine tröstliche Gewissheit in mein Herz schleicht, blicke ich wieder nach vorn und stelle entsetzt fest, dass die Rücklichter des vor uns fahrenden Busses nicht mehr zu sehen sind!
    Erschrocken ziehe ich mich halb aus dem Sitz. Nein, wir sind nicht abgehängt, hinter uns ist noch der fünfte Bus, aber nur wenige Meter weiter fährt unser Fahrer in eine Ausweichbucht und winkt den Hintermann vorbei. »Motorpanne!«, ruft er dem Kollegen durchs Fenster zu.
    Wir sehen uns an. Kann das sein? Der Bus, der eben noch hinter uns lag, zieht vorbei und wir stehen allein am Berghang, den Kofferraum voller Sprengstoff, um uns herum tiefe Nacht. Die Wachen in unserem Bus beugen sich über die Karte und beratschlagen mit dem Fahrer, ob wir es bis nach Matrei schaffen.
    Ich höre mich ausatmen. Panne scheint zu stimmen! Zehn Minuten später rollen wir mit einem knallenden, stinkenden Bus in ein Bergdörfchen.
    »Ihr könnt aussteigen«, heißt es. »Wir warten auf den Ersatzbus. Aber kommt nicht auf dumme Gedanken, sonst müssen eure Freunde es ausbaden!«
    Daran haben wir keinen Zweifel. Wir steigen aus in

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