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Einundzwanzigster Juli

Titel: Einundzwanzigster Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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Ruhe zurück. Er zwinkert uns sogar zu, als er merkt, dass wir ihn beobachtet haben!
    »General Garibaldi«, murmelt Julius, als er an uns vorbei ist. »Der Mann ist Italiener.« Sein Gesicht hellt sich auf. »Weißt du, was ich glaube? Er hat Hilfe losgeschickt!«
    Und Hilfe ist dringend notwendig. Als wir zu den Bussen zurückkehren, ist helle Aufregung ausgebrochen. Eine kleine Menschentraube hat sich um Pfarrer Niemöller geschart. »... einige besonders prominente Mitglieder der Gruppe zu liquidieren«, hören wir, und: »... sollen den alliierten Truppen nicht in die Hände fallen.«
    »Die SD-Kerle sagten: Morgen macht ihr euren entscheidenden Gang«, berichtet der Pfarrer mit bleichem Gesicht.
    Ein junger deutscher Oberst namens Bonin mischt sich ein. »Ich habe Bader und Stiller heute Nacht im Bus reden hören, als sie dachten, wir schliefen. Es ging darum, was nach dem Moment mit den anderen passieren sollte. Der ursprüngliche Plan war, Sprengstoff unter den Fahrzeugen anzubringen. Sie wollten uns offenbar schon letzte Nacht erledigen, aber der Bus mit der Munition hatte eine Panne ...«
    Neben mir höre ich meinen Vetter vernehmlich schlucken. Ich selbst habe es komplett aufgegeben, meinem Körper irgendeine Reaktion abnötigen zu wollen.
    »Die Verhandlungen mit den Alliierten haben nichts erbracht«, vermutet Oberst Bonin, der wegen Befehlsverweigerung angeklagt, aber noch nicht verurteilt ist und in voller Uniform vor uns steht. »Unsretwegen wird es keine besseren Kapitulationsbedingungen geben. Wir sind als Geiseln nutzlos geworden.«
    Im allgemeinen Schreckensgemurmel verschafft Mr Best sich Gehör und empfiehlt, Ruhe zu bewahren. »Wir müssen weg von der Straße«, sagt er. »Im Dorf können wir uns verteilen und sind weniger angreifbar.«
    »Das stimmt! Ins Dorf!«, werden Stimmen laut.
    Die Wachen machen einen halbherzigen Versuch, uns am Gehen zu hindern, aber zu schießen trauen sie sich – ohne entsprechendenBefehl – doch nicht. Minuten später passiert eine aufgeschreckte, aber umso entschlossenere Gruppe von fast hundertfünfzig Häftlingen, begleitet von einer Eskorte unschlüssiger Wachen, das Ortsschild von Niederdorf.
    Die Bevölkerung von Südtirol hat in den letzten Tagen und Wochen viel versprengtes Fußvolk durchmarschieren sehen – unser Aufzug dürfte sie dennoch erstaunen. An der Spitze der langen, zerlumpten Kolonne schreiten Uniformierte mehrerer Nationen, wobei die vollbärtigen, ordensbehängten kleinen Griechen ein besonderes Spektakel darstellen. Wir haben Pfarrer, Prinzen und Politiker zu bieten, ältere Damen in Soldatenstiefeln und mit merkwürdig klappernden wollenen Beuteln auf dem Rücken, erschöpfte Kinder, und natürlich erkennen alle sofort ihren Kanzler Schuschnigg, der dem »Anschluss« Österreichs 1938 widerstanden hatte und sogleich verhaftet worden war.
    Kaum haben wir die ersten Häuser des Dorfes erreicht, sehe ich Teile der Gruppe ausschwirren und an fremde Türen klopfen. Offenbar bedarf es nicht vieler Worte. Als der Schwanz der Kolonne den Ortseingang überschreitet, bröckelt der Rumpf schon bedenklich.
    Auch Mutter würde gern so schnell wie möglich untertauchen, aber da ich die meisten aus der Familie noch weiter vorne auf der Straße sehe, ziehe ich sie einfach mit. Meine alte Not: nicht auszudenken, einander aus den Augen zu verlieren!
    Sekunden später tut es mir schon leid. Über die Dorfstraße kommt uns ein leibhaftiger General der Deutschen Wehrmacht entgegen.
    Die Wehrmacht! Das fehlte gerade noch! Die Wehrmacht, die alle Verräter aus ihren Reihen verstoßen hat, ist auch hier! Gehetzt blicke ich mich um, nach einer geöffneten Tür, einem Gebüsch, irgendetwas ... als plötzlich ein General der Infanterie mit Hurrarufen aus unserer Schar bricht und dem anderen um den Hals fällt!
    Kennen die sich? Wir sehen sie knappe, dringliche Worte wechseln. Der Wehrmachtsgeneral blickt erst ungläubig, dann grimmig.
    Während ich noch rätsele, was das zu bedeuten hat, ist Oberst Bonin bereits in einem Haus verschwunden, vor dem mehrere Kübelwagen stehen. Mit sicherem Blick hat der Oberst erkannt, dass sich hier und nirgendwo anders die Zentrale der Wehrmacht befindet. Er blickt hochzufrieden, als er wieder auf die Straße kommt, gefolgt von einem rotgesichtigen, aus voller Kehle brüllenden Oberst der SS: »Sie sind ein Gefangener! Sie können nicht einfach das Telefon nehmen und den Generalstab in Italien anrufen! Das wird Folgen haben,

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