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Einundzwanzigster Juli

Titel: Einundzwanzigster Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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von Zweifeln, denn Mutter war mehr und mehr an den Rand meines Lebens gerückt. Sie hatte anderen Platz gemacht: Antonia, meiner Freundin, Ellen, der Lagermannschaftsführerin.
    Und nun? Antonia und Ellen kann ich nicht mehr ins Gesicht sehen. Berlin ist zerstört, die Streitmacht der Alliierten in der Normandie und der Russe schon fast an der Weichsel. In unserem Keller will niemand in der Nähe der alten Bechtolf sitzen, mit der man sich früher gutstellen musste, es wird gestritten, Oma Luchterhand wird verrückt und Frau Geheimrat traut sich was.
    Die Einzige, die dieselbe geblieben ist, ist meine Mutter. Sie redet sich um Kopf und Kragen in ihrem Hass auf die Nazis, schmuggelt eine Fremdarbeiterin in den Luftschutzkeller und kann sich nicht freuen, dass ich da bin.
     
    Die Sonne ist schon hinter den Häusern verschwunden, als die Entwarnung uns aus dem stinkenden Keller entlässt, und im Gegenlicht erinnern die zerbombten Ruinen auf der anderen Straßenseite an einen Mund voll schwarzer, abgebrochener Zähne. Kartoffeln und Kohl hatten im Kochtopf auf dem Herd Zeit, weich zu werden, obwohl der Strom nicht lange eingeschaltet war. Auch das Wasser ist jetzt abgestellt, aber in weiser Voraussicht hat Mutter vor dem Alarm Kanister gefüllt.
    Ich nehme einen davon mit ins Bad, kann mich endlich waschen und das zerknitterte, verstaubte Reisekleid wechseln. Mit sauberem Gesicht und gekämmten Haaren trete ich ins Leben zurück, erfrischt auch in der Zuversicht, dass nun, da ich wieder zivilisiert aussehe, alles andere auch irgendwie zu meistern sein wird.
    Von wegen. Schon im halbdunklen Flur ereilt mich ein neues Hindernis: Die Wohnungstür geht blitzschnell auf und wieder zu, in meine Arme stolpert ein Gespenst, und wenn ich nicht sofort zurückgesprungen wäre, hätte es mich glatt gebissen! Mit einem blutrünstigen Knall höre ich seine Zähne ins Leere schlagen.
    Wir starren uns an. Olesia ist einen halben Kopf kleiner als ich, mit knochigen Schultern, die aus einem meiner alten Trägerkleider ragen, und einem spitzen Mäusegesicht. Ihre Augen sind hellblau und stehen derart voll Wasser, dass der kleine Stups von dem Zusammenstoß mit mir reicht, um es zum Überlaufen zu bringen. Olesia sieht mich und heult, Mutter kommt aus der Küche gehetzt und schon stehen beide da, als ob hier irgendetwas meine Schuld wäre.
    »Wenn sie klopfen würde, bevor sie die Tür aufmacht, würde auch niemand mit ihr zusammenstoßen!«, verteidige ich mich und merke noch im Reden, wie hochmütig das klingt. Dabei bin ich selbst erschrocken. Siebzehn soll sie sein? Sie sieht nicht älter aus als ich.
    »Warum sollte sie klopfen?«, erwidert Mutter kühl. »Sie wohnt hier. Komm, Olesia.« Tröstend legt sie der Maus den Arm um die Schulter und führt sie in die Küche, und ich merke, dass ich mir genau dies gewünscht habe, seit ich vor etwas mehr als sieben Stunden hier angekommen bin.
    Unser Abendessen besteht aus Stampfkartoffeln und wässrigem Kohl, bestreut mit Sojapulver, dazu gibt es eine halbe Scheibe Graubrot. (Mir ist klar, dass Mutter und Olesia eine ganze Scheibe bekämen, wenn ich nicht wäre.) Das Anrichten auf den Tellern besorgt Mutter selbst; ihre Haushaltshilfe sitzt währenddessen zusammengesunken auf dem Stuhl und starrt auf ihre kleinen weißen Finger. Nur in der einen Sekunde, als Mutter sich von hinten über sie beugt, um ihr den Teller hinzustellen, blickt sie auf und wirft mir einen hasserfüllten Blick zu, den ich nach Kräften erwidere.
    Das war dumm. Leider hat Mutter nämlich nur mein Gesicht gesehen und nicht das von Olesia. »Du kannst nachher essen, Philippa«, sagt sie scharf. »Du bringst zuerst Oma Luchterhand ihre Portion.«
    »Ich weiß noch was Besseres! Ich esse bei Oma Luchterhand«, entgegne ich verletzt.
    »Warum eigentlich nicht?«
    Ungerührt löffelt Mutter Kohl und Kartoffeln auf zwei Teller und stellt sie auf ein Tablett. Sie kommt sogar mit in den Flur, um mir die Tür aufzuhalten.
    »Olesia hat mich zuerst angeblitzt!«, petze ich, um meiner Dummheit noch eins draufzusetzen. »Es reicht, Philippa! «, sagt sie böse.
    Mir auch. Wütend und den Tränen nahe stapfe ich die Treppe hinauf zu der einzigen Person im Haus, der ich willkommen bin.
    Oma Luchterhand sitzt mit geschlossenen Augen im Sessel und meditiert. Ich stelle uns die Teller auf den Couchtisch, mache mich auf die vergebliche Suche nach frischem Trinkwasser, entscheide, dass der Kohl wässrig genug ist, und komme zurück ins

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