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Einundzwanzigster Juli

Titel: Einundzwanzigster Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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Suppe auftragen, geht er ernst und würdevoll zur Anrichte, zieht die oberste Schublade auf und nimmt eine frische weiße Kerze aus einer Schachtel.
    »Möchten Sie noch etwas Einlage, Fräulein Philippa?«
    Der kräftige Duft der Suppe steigt mir in die Nase. Jette hält die Schüssel, Lore gibt sich Mühe, möglichst viel Hühnerfleisch für mich herauszufischen; wahrscheinlich hat sich herumgesprochen, dass ich aus Berlin komme und aufgepäppelt werden soll. Dass ich kaum hinschaue, muss sie irritieren. An der Anrichte stellt Onkel Yps die Kerze für den Sterbenden in einen Ständer und entflammt ein Streichholz. Für einen Augenblick versinken sie im Licht, Onkel, Streichholz, Kerze ... und ehe ich michs versehe, stehe ich schon neben ihm.
    »Kann ich eine zweite anzünden? Bei uns im Haus ist auch jemand gestorben, und als wir gerade zur Beerdigung wollten, kam der Alarm ...«
    Er hält mir lächelnd die Schachtel hin und ich greife hinein, schließe voll Freude meine Hand um eine der kühlen, glatten Kerzen. Oma Luchterhand soll ihren Abschied bekommen! Mutter wird sich freuen!
     
    Nur eine Kerze, Fritzi? Nur eine Kerze?
    Alles in Ordnung, Kind ...?
    Eine alte Nachbarin, glaube ich.
    Arme Fritzi, hattest sie wohl gern.
     
    Ich hasse es aufzufallen. Warum manche Leute es darauf anlegen, wird mir auf ewig ein Rätsel bleiben. Die verlegenen Gesichter! Und wie alle tun, als sei nichts gewesen. Ich jedenfalls fühle mich deshalb nicht weniger albern und gedemütigt.
    Immerhin geben meine Tränenschleier allmählich wieder einen Blick frei, zumindest den Ausschnitt eines Blicks: das Muster des Tischtuchs, das Muster am Boden der Suppentasse, das Emblem auf dem Löffel. Meine Hand, die an der Serviette zupft wie an den Saiten eines Musikinstruments. Bloß nicht zu Lexi sehen, sonst sagt sie es am Ende noch: Wenn du so weiterzupfst, kommt ein Ton raus!
    Ich pruste los. Auch das noch. Glücklicherweise haben gleich drei Verwandte ein Taschentuch parat, sonst hätte ich dem Namen Klexchen alle Ehre gemacht.
    »Vierzehn!«, sagt Tante Ina so unvermittelt, als habe sie eben eine Erklärung für mein unvorhersehbares Verhalten gefunden: Mädchen + vierzehn = außer Kontrolle! Aber sie will nur wissen: »Dann bist du ja jetzt im BDM?«
    Oh weh. Falsche Frage, Tante Ina. Die falscheste Frage von allen. Aber kommt es noch darauf an? »Nein, Tante Ina, ich bin nicht im BDM.«
    »Ach«, meint sie, »dann nehmen sie dich eben hier im Dorf auf. Es sind nette Mädchen, da findest du schnell Anschluss. Ganz schnell, du wirst sehen.«
    Ich fühle ihren erwartungsvollen Blick auf mir ruhen. Gut, dass am Rand der leeren Suppentasse noch eine winzige Nudel klebt. Je winziger die Nudel, desto intensiver kann man sich damit beschäftigen, sie durch die Tasse zu schieben.
    Geschafft. Die Verwandten verlieren das Interesse an mir. »Sehe ich Nelly noch, wenn ich übermorgen fliege?«, fragt Lexi.
    »Aber sicher, sie kommt morgen Nachmittag. Habt ihr eigentlich schon gehört ... ?«
    Die Tanten lächeln verschwörerisch. »Max und ich sollen Paten werden!«, verrät Lexi.
    Ja, hätte ich denn sagen sollen: Ich will nicht in den BDM ... ? Zu Tante Ina, deren Mann Marinerichter ist, Todesurteile zu verhängen hat, der selbst in der Freizeit seine Uniform nicht auszieht? Lore nimmt mir mit ernstem Gesicht die Suppentasse ab und stellt einen großen Teller vor mich hin; in den Schüsseln sind Braten, Kartoffeln und Bohnen.
    Der BDM also. Aus der Sache komme ich nicht heraus. Wer sich am Lautlitzer Tisch satt isst, wird tun müssen, was man von ihm erwartet.
    Fast acht. Auch Mutter wird jetzt am Tisch sitzen und im Licht der Petroleumlampe mit Frau Wahl Karten spielen, Olesia liegt reglos in ihrem Spalt zwischen dem Bett und der kalten, feuchten Wand. Immerhin mit einem großen Stück Kaninchen im Magen. Wenn es nur woanders trifft heute Nacht ...
    »Zeichnest du eigentlich noch, Fritzi?«, fragt Tante Ina. Das war Fabian.
    Keiner sagt etwas, aber der Satz hängt in der Luft. »Nein, ich zaubere jetzt«, antworte ich rasch und drehe mich zur Seite, wo Lexi sitzt. Damit hat sie wohl nicht gerechnet. Für einen winzigen Augenblick sehe ich sie ... nein, nicht zurückweichen, aber viel fehlt nicht. Erschrocken, ungeschützt wie vorhin in ihrer Wohnung, und ganz und gar nicht lustig.
    Wie schön – ich bin nicht die Einzige, die etwas zu verbergen hat! Mit einer leichten Drehung meines Handgelenks ziehe ich die Münze hinter Lexis Ohr hervor und

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