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Einundzwanzigster Juli

Titel: Einundzwanzigster Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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noch herumreißen. Wenn der Führer nicht wäre – nicht auszudenken, was aus uns würde!
    Die Generäle sind schuld! An Stalingrad, der Invasion in der Normandie und an den abscheulichen Verbrechen, zu denen sich kleine Teile der Truppe zur Freude der Feindpropaganda offenbar haben hinreißen lassen. Kaum ist die Wohnzimmertür zu, fällt mir alles wieder ein.
    »Er müsste sich öfter zeigen«, hat sich Antonia gewünscht. »Wenn er sich wieder zeigen würde, wäre die Moral im Volk so viel besser!«
    Um meine Freundin herum nickte es eifrig.
    »Aber es ist klug von ihm, sich nicht mehr zu zeigen«, widersprach Ellen. »Er hat seine Menschen bis ins Innerste durchschaut. Wir werden ihn erst wieder sehen, wenn wir den Sieg errungen haben. Auf diese Weise hält er die Sehnsucht in uns lebendig.«
    Wir hingen an ihren Lippen. »Es hängt allein von unserem Glauben ab«, beschwor uns Ellen. »Wollt ihr daran glauben, Jungmädel?«
    Ein vielstimmiges Ja! scholl ihr entgegen. »Dann werden wir ihn bald sehen!«, versprach sie.
    Mein Ja würde heute nicht mehr so kraftvoll ausfallen, aber wenigstens die Sehnsucht scheint noch irgendwo in mir zu leben: Mit der Erinnerung fährt mir ein messerscharfer, heißer Stich ins Herz. Wie gut es war, zu etwas bestimmt zu sein! Nichts zu wissen von Zweifeln, oder dass man in Züge und Flugzeuge steigen kann und dennoch das Gefühl behält, nirgends anzukommen.
    Wäre ich doch nur in Oschgau geblieben! Hätte ich doch nur vertraut! Es ist nichts passiert, Fritzi. Du hast nichts falsch gemacht. Falsch ist nur, wie du darüber denkst ...
    Wie ich die Kameradinnen vermisse! Mit jedem Schritt entferne ich mich seither von allem, was ich mir wünsche. Mutters Gesetzesbrüche, die geballte Mutlosigkeit im Keller, die Feindseligkeiten auf der Straße ... und nun, gewissermaßen als Krönung, Omama! Dass sie den Führer nicht ausstehen kann, ist in der Familie kein Geheimnis, aber Kugel in den Kopf ...? Du lieber Gott, sie ist noch schlimmer als Oma Luchterhand!
    Hätte ich doch geredet, eben im Zimmer. Vielleicht hätte ich etwas zurückgewonnen von dem, was in Oschgau geblieben ist. So fest wie Ellen und Antonia glaube ich nicht, das ist leider wahr, aber denken wie Omama? Noch viel weniger.
    »Möchten Sie vielleicht ein Bad nehmen, Fräulein Philippa?«
    Im ersten Stock steht Lore am Treppenabsatz und lächelt. »Ich lasse Ihnen ein Bad ein, wenn Sie möchten. Die Gräfin Alexandra hat sich für morgen Früh auch eins bestellt.«
    Ein Bad! Ein heißes Bad! Dass es solchen Luxus gibt, hatte ich längst vergessen. In Oschgau wurde einmal pro Woche eine kleine Zinkwanne in die Wohnküche geschleppt, in der man sich hinter einem Vorhang hastig schrubbte, während draußen schon der Nächste wartete; in Berlin gab es nicht einmal das. »Ich mache es sofort fertig, Fräulein Philippa! «, sagt Lore verheißungsvoll – das Verlangen steht mir wohl ins Gesicht geschrieben.
    »Bitte nennen Sie mich nicht Fräulein! Fritzi reicht! Und Sie muss auch nicht sein.«
    »Ich weiß nicht ...« Sie beißt sich auf die Lippen, aber ihre Augen funkeln, natürlich wird sie es tun! »Wenigstens, wenn wir unter uns sind«, schlage ich vor.
    Wir schütteln einander die Hand. Lore ist achtzehn und wartet auf ihren Einsatz als Gesundheitsdienstmädel, aber ein paar Wochen ist sie noch hier. »Dann bekommt ihr eine Polin«, meint sie, und aus irgendeinem Grund macht mir das plötzlich nichts mehr aus.
    »Klar«, gebe ich zurück, »hatten wir in Ostpreußen auch.«
    Ich sinke ins warme Wasser, das nach Zitrone duftet, und schließe die Augen. Lore hat mir Shampoo hingestellt, wird mir nachher helfen, die Haare auf Wickler zu drehen.
    Und plötzlich weiß ich: Tante Ina hat Recht. Ich kann in Lautlitz zum BDM. Ich werde noch einmal von vorn anfangen – hier, wo mich niemand kennt. Eine neue, alte Fritzi, ohne Ausflüchte, ohne Angst vor Schatten. Schluss damit! So wie in den letzten Wochen darf es mit mir nicht weitergehen. Ich kann zaubern, oder etwa nicht?
    Ich will mein Leben zurück! Diesmal kann ich es besser machen.
    Friendly fire nennen es die Amerikaner, und weshalb sie für das Schändlichste, das einer Truppe im Krieg passieren kann, eine derart harmlose Bezeichnung gewählt haben, bleibt ihr Geheimnis. Beschuss aus den eigenen Reihen! Hier auf Schloss Lautlitz! Nein,es wundert mich ganz und gar nicht, dass Lexi über die Diskussion mit Omama kein Wort verliert, als wir uns nach meinem Bad im Zimmer

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