Einundzwanzigster Juli
nehme den Applaus entgegen.
Du solltest das weiter üben, Fritzi. Du bist viel besser als ich. Vielleicht schenke ich ihn dir, meinen Zauberkasten ...
Tante Ina springt auf, läuft nach nebenan und holt Konstantin und Caroline: »Eure Kusine kann zaubern!« Ich zeige zwei Kartentricks, lasse einen Apfel von einer Schüssel in die andere wandern und Onkel Yps’ Armbanduhr aus einer Serviette verschwinden. Tante Ina ist, glaube ich, genauso froh wie ich selbst, dass wir gerade auf etwas gestoßen sind, das an mir weder seltsam noch beunruhigend ist.
»Aber was ist mit meiner Uhr?«, fragt Onkel Yps, während Lore den Kompott bringt. Konstantin und Caroline haben da bereits die Plätze rechts und links von mir erobert und drängen und schubsen: Wie macht sie das ...?
Mit großer Konzentration wringe ich die Serviette zu einem kleinen Ball. Alles starrt, die Kinder mit offenem Mund, die Erwachsenen fast noch gespannter, weil sie mein Problem erkannt haben: Konstantin und Caroline rücken mir dermaßen auf den Leib, dass ich den Trick kaum zu Ende bringen kann, ohne dass sie mir dahinterkommen!
Lass es ruhig erst mal schiefgehen, dann ist das Publikum um so glücklicher, wenn es nachher klappt ...
Ich puste über die Serviette und weise die Kinder an, es mir nachzutun. Sie pusten, dass ihnen die Augen aus dem Kopf treten. Und nun – alle aufstehen! Es ist so still, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte. »Bitte treten Sie etwas näher, wir müssen uns jetzt alle konzentrieren!«, fordere ich die Hausmädchen auf, bevor ich die Hand mit der Serviette ausstrecke. Mit einem einzigen Ruck schlage ich sie auf, Caroline springt vor Schreck zurück.
Ein Raunen. Keine Armbanduhr – und die Tür geht auf und Omama tritt hindurch! »Was ist denn hier los?«, ruft sie perplex.
Die Spannung der Kinder entlädt sich in einem gemeinsamen Aufschrei: »Sie hat dich hergezaubert! Sie hat dich hergezaubert!«
Blitzschnell lasse ich die Armbanduhr aus meinem Ärmel in die Serviette fallen. Lexi, der Einzigen außer mir, die trotz Überraschung nicht den Trick aus den Augen verloren hat, kann das nichtentgehen. Unsere Blicke treffen sich, sie lacht übers ganze Gesicht. Niemand weiß einen unerwarteten Versuchsausgang mehr zu schätzen als eine Physikerin!
Langsam beginnt sie in die Hände zu klatschen und die anderen fallen ein. »Welch eine Begrüßung! Hergezaubert hat man mich noch nie.« Omama ist gerührt.
»Vielleicht hast du’s bloß nicht gemerkt«, meint Onkel Yps.
Eure Kusine kann zaubern!
Dass ich das vergessen hatte ... in eine Kiste zu greifen, ein Tuch, ein paar Würfel, ein Kartenspiel hervorzuholen, und augenblicklich die gespannte Stille zu spüren: wie gern sich die Menschen zum Staunen bringen lassen! Vielleicht ist das der eigentliche Zauber und nicht der verschwundene Ring oder der wandernde Ball.
Natürlich habe ich lange geübt. Ich war geduldiger als Antonia und deshalb bald besser als sie, obwohl es ihr Zauberkasten war. Sie hatte ihn von ihrem Vater bekommen, der in Nordafrika stand und in unserem ersten Oschgauer Winter in britische Gefangenschaft geriet. Antonias Mutter erfuhr es durchs Rote Kreuz.
»Für Papi ist der Krieg vorbei, Gott sei Dank!«, flüsterte Antonia mir im Schlafsaal zu. Laut sagte sie: »Armer Papi, nun kann er nicht mehr für den Sieg kämpfen!«
Auch für Piotr haben wir gezaubert. Er brachte uns hübsche kleine Gegenstände, die wir in unser Repertoire einbauten – ein kleines blau gesprenkeltes Ei, eine Eichelhäherfeder, einen perfekten Stein. Ich gewöhnte mir an, mit gesenktem Kopf zu gehen, damit ich nichts übersah, was wir für den Zauberkasten brauchen konnten. Aber so schöne Dinge wie Piotr habe ich nie gefunden.
Geübt habe ich, in jeder freien Minute. Und dann? Kein Zauber hat Piotr geschützt. Das Ei, die Feder und den Stein habe ich weggeworfen, und da war auch noch eine winzige geschnitzte Flöte, die zwei verschiedene Töne hervorbrachte.
Ich kann zaubern. Ich kann es nicht. Philippa Bredemer, Illusionistin.
Omama erzählt von Leuschners, und wie die ganze große Familie Abschied genommen hat: Kinder, Enkel und zwei Urenkel mit großen Augen; alle haben den alten Mann, der bereits hinüberdämmerte, noch einmal auf die Wange geküsst. »So ein wunderschöner, friedlicher Tod«, sagt Omama, »das wünsche ich uns allen, aber das wird keiner von uns haben, solange dieser grässliche Mörder Hitler ...«
Hoppla. Eigentlich bin ich bereits tief
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