Einundzwanzigster Juli
in meinem Sessel versunken und kann die Augen kaum noch offen halten; die Erwachsenen sitzen im Wohnzimmer beim Kaffee und haben entweder vergessen, mich zu Bett zu schicken, oder ich gehöre nun tatsächlich zu ihnen! »... solange dieser grässliche Mörder Hitler die ganze Welt im Würgegriff hat«, sagt Omama.
Ich riskiere ein Auge. Sie sitzt aufrecht im Sessel und blickt böse. Omama hat die Angewohnheit, an ihrer Frisur zu zupfen, wenn sie nachdenkt, und zu dieser späten Stunde umwehen ihren Kopf einzelne bebende Haare wie die Tentakel einer Seeanemone.
»Die ganze Welt ist es längst nicht mehr«, erwidert Onkel Yps gelassen. »Der Krieg kehrt dorthin zurück, wo er begonnen wurde. Nach Stalingrad hatte ich nicht erwartet, dass es überhaupt so lange dauern würde.«
»Du bist mir der Richtige! Ihr Offiziere sorgt doch selbst dafür, dass es kein Ende nimmt. Der Krieg ist verloren, das wissen alle, doch was macht der Generalstab, was macht mein Sohn Georg? Der kleine Manfred Leuschner hat den Stellungsbefehl erhalten, und mit ihm sein ganzer Jahrgang. Ich werde nicht Lehrer, ich werde Kanonenfutter, hat er zu mir gesagt!«
Omamas Stimme bricht. »Er soll lieber aufpassen, was er redet«, murmelt Tante Ina. »Zweifel am Sieg gelten automatisch als Wehrkraftzersetzung. Die Gerichte werden überschwemmt von Defätismus-Prozessen. «
»Na und? Wer zwingt die Richter zu verurteilen? Grüß Eckhardt von mir, wenn du ihn siehst! Wann macht endlich einer den Anfang und sagt: In meinem Gericht nicht!?«
Tante Ina beißt sich auf die Lippen. »So einfach ist das nicht«, springt Lexi ihr bei. »Das hätte viel früher passieren müssen. Wer sich jetzt verweigert, steht selbst an der Wand. Seinen Kopf wird niemand mehr riskieren, gerade weil der Krieg zu Ende geht. Irgendwie durchhalten, bloß nicht jetzt noch ins Gras beißen, lange kann es nicht mehr dauern ...«
»Redet ihr nur«, murmelt Omama. »Was Hitler aus uns gemacht hat, ist eine Schande. Feiglinge, Duckmäuser, Denunzianten. Davon erholen wir uns nicht! Fronarbeit für die Russen werden wir leisten, nur weil niemand aus diesem ganzen goldbehängten Haufen den Mut gefunden hat, einem kleinen Mann eine Kugel in den Kopf zu schießen.«
Lexi stößt einen kurzen Laut durch die Nase, der wohl ein Lachen werden sollte, aber auf halbem Weg aufgibt. Omama blickt herausfordernd, Tante Ina schockiert, Onkel Yps schuldbewusst. Ihnen allen gemeinsam ist nur, dass sie plötzlich auf mich blicken. Erst da wird mir bewusst, dass ich aufgestanden bin.
Aufgesprungen, um genau zu sein. Aufgesprungen, um zu rufen: Seid still! Lasst den Führer in Ruhe! Wisst ihr denn nicht, dass er Tag und Nacht an nichts anderes denkt, für nichts anderes lebt als das Wohl unseres Volkes?
Die Worte lodern in mir, bereit hervorzubrechen. Da stehe ich, alle schauen mich an, ich mache den Mund auf und sage: »Ich glaube, ich gehe jetzt besser zu Bett.«
Und meine Stimme, ich kann es nicht fassen, klingt weder flammend noch empört, sie klingt entschuldigend.
»Du Armes!«, meint Omama. »Nun haben wir noch gar nichts von dir gehört. Aber geh nur schlafen, du musst zu Tode erschöpft sein nach den schrecklichen Wochen in Berlin. Ruh dich aus, Fritzi, und morgen erzählst du uns von deiner Zeit in Ostpreußen ...«
Das fehlte gerade noch! Aber mit derselben falschen Stimme wie eben antworte ich: »Gern, Omama. Danke, dass ich hier sein darf.«
Über Omamas Gesicht huscht ein Lächeln. »Ach, Herzchen, das ist doch selbstverständlich.«
Ich sehe niemanden an im Hinausgehen. Ich will nichts mehr hören, nur noch hinaus, aber ich halte die Luft an; mir ist klar, dass sie noch nicht fertig sind.
»Wisst ihr, was Georg gesagt hat, als ich mich nach seiner neuen Aufgabe erkundigt habe?«, fragt Omama, noch während ich die Tür hinter mir zuziehe. » Ich sitze an meinem Schreibtisch und schicke Tausende in den sinnlosen Tod. «
Feiglinge, Duckmäuser, Denunzianten. Dagegen ist nichts zu sagen. Das brennt auch mir auf der Seele, als ich wie ein Verräter die Treppe hinaufschleiche: Ein schmählicher Rückzug ist es geworden! Als ob das, was ich hätte tun müssen, sagen müssen, verlangen müssen, Mut gekostet hätte.
Die Generäle taugen nichts – das ist nichts Neues. Sie pfuschen dem Führer ins Handwerk, widersetzen sich, handeln eigenmächtig. Sie misstrauen den Visionen des Führers, weil sie selbst keine haben. Nur unbedingter Gehorsam gegen unseren Führer kann den Krieg
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