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Einundzwanzigster Juli

Titel: Einundzwanzigster Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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vergeblich gegen das Glas ansummen.
    Der dicke Teppich auf der Treppe schluckt meine Schritte. Über und neben mir hängen Jagdtrophäen, die blanken, spitzen Schädel kleiner Rehböcke und im Lauf der Jahrzehnte verwitterte Wildschweinfelle, die einen Geruch nach Waffenöl und Mottenkugeln verströmen. Die Hirsche mit ihren mächtigen Geweihen säumenden Flur und starren den Betrachter mit mürrischer Genugtuung an: Sie hängen immer noch hier, ihre Bezwinger sind längst zu Staub zerfallen. Mutter fürchtete sich als Kind fast zu Tode, wenn sie nachts an ihnen vorbei aufs Klo musste.
    Auch sie war alleine hier. Hat sie sich Sorgen gemacht? Heimlich geweint, wie ich in meinen ersten Nächten in Oschgau? Sich den Kopf zermartert, als ihr nicht mehr gelang, sich die Stimmen und Gesichter ihrer Eltern vorzustellen? Mein Großvater war Stabsoffizier in der kaiserlichen Schutztruppe für Deutsch-Südwestafrika. Mit neun wurde Mutter zurück nach Deutschland geschickt, um hier zur Schule zu gehen, und vierzehn war sie, als meine Großeltern während des britischen Einmarschs in Namibia ums Leben kamen.
    Vierzehn. So alt wie ich. Es war Onkel Yps, der es ihr gesagt hat, im Essraum ihres Internats in jenem anderen Krieg. Willst du hier bleiben oder mit nach Hause kommen, Almut?
    »Das hat mich beeindruckt«, erzählte sie mir. »Dass er von zu Hause sprach. Die Familie kümmert sich um mich, das war gar keine Frage. Einer für alle, alle für einen. Wenn Vater und mir etwas passieren sollte, Fritzi, kommst du zu Ina und Eckhardt, das ist abgemacht.«
    Ich hier, meine Eltern im Krieg – auf halbem Weg die Treppe hinunter schnürt es mir plötzlich die Kehle zu. Geschichte wiederholt sich, hat Onkel Max bei seiner Stadtführung gesagt, und er erklärte es so, dass ich es mir gemerkt habe: Nichts ist so einzigartig, dass es nicht noch einmal geschehen kann.
    »Nanu, Fritzi, was ist denn mit dir?«
    Tante Ina, ausgerechnet. Seit Jahren habe ich nicht daran gedacht, was sie und meine Eltern abgemacht haben – warum muss es mir gerade heute wieder einfallen? Dabei mag ich meine Tanten, alle drei. Inas fröhliches rundes Gesicht, ihren vergeblichen Versuch, die Fülle ihres schon als junge Frau schneeweiß gewordenen Haares in einem Dutt, Kranz oder Zopf zu bändigen. Auch jetztrutscht es wieder aus den Spangen und sie muss es aus dem Gesicht pusten, um mich besorgt zu mustern. Warum in aller Welt sitzt das Kind auf der Treppe ...?
    »Leichte Kopfschmerzen? Brummen in den Ohren, Dröhnen in den Knochen?« Hinter Ina verschränkt Lexi die Arme. »Das nennt man Storchenflugsyndrom. Einmal an Onkel Yps’ Pfeife gezogen und es geht wieder weg.«
    »Lexi, bitte!«, murmelt Tante Ina und versucht nicht zu lachen. »Vielleicht hat sie nur Hunger. Hast du Hunger, Fritzi?«
    »Und wie! « Eine Ausflucht, die nicht einmal gelogen ist. Tante Ina nimmt mich erfreut an die Hand und hält fest, hat offenbar die Absicht, mich den ganzen Weg bis ins Esszimmer zu führen und ich bin so verdutzt, dass ich es mir gefallen lasse. Das letzte Mal, dass ich an der Hand von jemandem ging, muss in der Grundschule gewesen sein und ich habe völlig vergessen, was für ein Gesicht man dazu macht. Damals mussten wir singen.
    »Unsre Fahne flattert uns voran ...«, summt es plötzlich hinter mir und ich brauche mich nicht umzudrehen, um Lexi lachen zu sehen.
    Mein Großonkel Magnus von Yffingen, seit frühester Jugend »Ypsilon« genannt, erwartet uns im Esszimmer. Es liegt gleich neben der Eingangshalle, hat einen offenen Kamin, eine breite Tür, die zu Terrasse und Garten hinausführt, und zahlreiche Plätze rund um einen wuchtigen Tisch. Hinter einem dieser Stühle steht Onkel Yps, bereit zum Tischgebet.
    Es ist das zweite Mal an diesem Tag, dass Omamas Bruder, der in einem Haus am Ortsrand lebt, auf uns wartet. Beim Anflug auf den Fliegerhorst bei Albstadt konnten wir seinen Wagen schon neben der Wiese stehen sehen und ich hatte bei mir gedacht, dass das Leben als Pensionär für einen Oberst und ehemaligen Festungskommandanten ziemlich eintönig sein muss. Kurz nach seinem sechsundsechzigsten Geburtstag hat man ihm einen letzten Orden an die Brust geheftet und ihn mit Fanfaren nach Hause geschickt.
    Aus einem Krieg entlassen zu werden, der noch in vollem Gange ist ...! Ausgehalten hat er das nicht, wie ich mich erinnere. Er hat Georg und Eckhardt geholfen, irgendetwas Wichtiges, hatte nicht einmal Zeit, zum Abendessen zu kommen ...
    »Keine Sorge«,

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