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Einundzwanzigster Juli

Titel: Einundzwanzigster Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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wiedersehen.
    Eigentlich muss ich ihr dankbar sein. Hätte Lexi den Führer verteidigt, hätte Omama nicht weitersprechen können, und hätte Omama mich nicht durchgerüttelt, würde ich jetzt nicht so klar sehen. Aber seltsam ist es doch, seltsam und ärgerlich. Lexi steht in seinen Diensten! Den Eid hat sie nicht leisten müssen, aber gibt es nicht trotzdem eine Treuepflicht ...? Lore würde schließlich auch nicht einfallen, Omama die Suppe in den Schoß zu gießen, bloß weil es nicht mehr lange dauern wird mit ihrer Anstellung auf dem Schloss.
    »Der Krieg ist verloren«, hat Lexi bestätigt, anstatt Omama zurechtzuweisen, und: »Niemand wird jetzt noch seinen Kopf riskieren.«
    Und dabei hat sie ganz gemütlich auf dem Sofa gesessen und mit ihren Orden geblinkt.
    Friendly fire. Dass sie sich nicht schämt!
    »Aha! Du hast Berlin abgewaschen!«, begrüßt sie mich.
    Von ihrem Schreibtisch aus hat sie die Hälfte meines Zimmers im Blick; nur wenn ich auf dem Bett sitze, kann ich ihr ausweichen. Und plötzlich ärgert mich, wie sie fortwährend ins Schwarze trifft. Wer gibt ihr eigentlich das Recht, dauernd in meinem Innersten zu stochern? Herausfordernd postiere ich mich im Türrahmen zwischen unseren beiden Räumen und verschränke die Arme. »Nicht nur Berlin!«
    Leider habe ich nicht bedacht, wie albern man sich in Lockenwicklern fühlt. Der Anflug von Heiterkeit, der über Lexis Gesicht huscht, ist fast nicht zu erkennen, aber meine Wangen beginnen sofort zu glühen. »Ganz frisch und neu?«, bemerkt sie hintersinnig.
    Böse knurre ich zurück: »Der Himmel bewahre mich vor zu klugen Tanten!«
    Zack! Das muss gesessen haben. Sie sagt gar nichts mehr, wendet sich den Schreibarbeiten zu, die sie über den Tisch verteilt hat, und setzt ein Geodreieck an ein Lineal. Handgeschriebene Notizen von einem Block verwandeln sich in eine saubere mathematische Kurve. Als ich fünf Minuten später ins Bett schlüpfe, ist immer noch Schweigen zwischen uns; erst als ich das Licht lösche, höre ich Lexi den Stuhl zurückschieben, aufstehen und zwei, drei Schritte durchs Zimmer gehen. Mit einem nicht unfreundlichen »Schlaf gut, Klexchen! « schließt sie die Verbindungstür.
    Das habe ich befürchtet. Alles, alles glaubt sie zu wissen! Aber dass ich die Stille fürchte wie nichts auf der Welt, dafür reicht ihre Vorstellungskraft nicht. Nur ein winziger Lichtschein fällt noch durch den Türspalt zwischen unseren Zimmern.
    Das wird nicht reichen. Nein, ich merke es bereits, das reicht ganz und gar nicht. Aber aufstehen? Aufstehen und kleinlaut fragen: Können wir die Tür offen lassen?
    Nein!, weise ich mich zurecht. Die Tür bleibt zu! Ich werde die geschlossene Tür als Test nehmen, als Test für die Ernsthaftigkeit meiner Vorsätze.
    Ich schließe die Augen. Na bitte! Und ganz so still ist es gar nicht. Mein eigenes Herz pocht so laut, als läge jemand neben mir und klopfte einen Takt aufs Kissen.
    »AUFMACHEN, DU SCHWEIN, WIR WISSEN, DASS DU HIER BIST!«
    Nein. Nein, ich fahre nicht hoch! Ich erlaube mir nur, ganz kurz die Augen zu öffnen. Ich bin in Lautlitz! Ich bin nicht allein! Durch den Türspalt fällt immer noch Licht.
    Ich muss an etwas Schönes denken. Was gibt es Schönes, das klopft? Zu dumm, mir will nichts einfallen, aber als ich mich auf die andere Seite drehe, höre ich auch mein Herz nicht mehr schlagen. Es rauscht höchstens ein wenig im Ohr. Es rauscht wie das Wasser für die Tiere, wenn man es aus dem Brunnen heraufgezogen hat und in die Eimer schüttet ...
    »WIRST DU DIE VERDAMMTE KURBEL LOSLASSEN, DU DRECKIGER DIEB?«
    Ich springe, ich fliege aus dem Bett. Lexi zuckt zusammen, als ich ihr fast ins Zimmer falle. »Kann ich die Tür auflassen? Nur einen Spalt? Ich störe dich auch nicht!« Die Worte sprudeln hervor; mein Hals schmerzt, als hätte ich geschrien.
    »Es ist verdammt dunkel auf dem Land, nicht wahr?«, meint Lexi mitfühlend.
    »Es ist nicht die Dunkelheit. Es ist die Stille ...«
    Ich weiß selbst nicht, warum ich das zugebe. Lexi lehnt sich zurück. »Kaum auszuhalten«, stimmt sie zu. »Was glaubst du, warum ich die halbe Nacht arbeite, wenn ich hier bin?«
    »Wirklich?« Meine Knie werden weich vor Erleichterung. »Wirklich?«, wiederhole ich ungläubig.
    »Ich bin ein Grübler«, erwidert sie schulterzuckend, »wir schlafen immer schlecht. Ich habe alles probiert: Schäfchen gezählt, Wölkchen gezählt, von tausend rückwärts gezählt ... ich habe sogar den Wasserhahn in der

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