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Einundzwanzigster Juli

Titel: Einundzwanzigster Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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Küche tropfen lassen und die Tröpfchen gezählt. Nichts hilft. Zurzeit male ich Diagramme.«
    In komischer Verzweiflung verzieht sie das Gesicht. »Tut mir leid wegen vorhin«, flüstere ich. »Ich bin stolz, dass ich eine kluge Tante habe. Es ist manchmal etwas unheimlich, aber sonst habe ich nichts daran auszusetzen.«
    »Versuch zu schlafen, Klexchen«, sagt sie sanft. »Ich werde wie verrückt mit Papier rascheln.«
    Ich drücke ein lächelndes Gesicht in mein Kissen, als ich wieder im Bett liege. Neugierig horche ich nach nebenan, höre, wie Lexi Seiten umblättert, wie ihr Bleistift leise über das Papier kratzt. Wie er über den Tisch rollt und zu Boden fällt.
    »War das jetzt übertrieben?«, fragt sie mit einem Lachen in der Stimme.
    Aber da bin ich schon zu schläfrig, um zu antworten.

F ÜNF
    Lore hat ihre eigenen Theorien über die Mitglieder meiner Familie, und dass sie sie mit mir teilt, kann nur damit zusammenhängen, dass ich in ihren Augen nicht richtig dazugehöre. Nicht, dass sie es mir sagen müsste – ich spüre es schließlich selbst. Ich trage einen anderen Namen, bin weder Gräfin noch Komtess, weder Kind noch eine der Erwachsenen. Ich stehe, nein: ich bin dazwischen. Unter anderem stehe und bin ich zwischen den Lautlitzern und dem Hauspersonal.
    Was meine Freundschaft mit Lore betrifft, ist das nicht der schlechteste Stand: Sie mag vier Jahre älter sein als ich, hat aber genügend Achtung vor mir und meinem Platz im Haushalt, um mich mit Respekt zu behandeln. »Und welchen deiner Onkel magst du am liebsten?«, fragt sie, während wir nach dem Frühstück im Garten Wäsche aufhängen.
    Das heißt: Natürlich hängt Lore die Wäsche auf, aber nach einigem Hin und Her hat sie mir gestattet, die Klammern anzureichen. Es darf um Himmels willen nur nicht so aussehen, als ob ich arbeitete. »Was glaubst du, was ich in Ostpreußen getan habe?«, wundere ich mich. »Ich habe sogar geholfen, eine Jauchegrube auszuheben.«
    »Hier bist du nicht in Ostpreußen. Wenn Witta sieht, dass ich dich arbeiten lasse, bin ich dran!«, sagt Lore schlicht. »Du darfst mir die Klammern anreichen, aber stell dich hinter die Wäsche.«
    Na schön. Gehorsam verschwinde ich hinter den wehenden Laken und halte den Klammerbeutel. »Ich mag Onkel Max am liebsten«, teile ich Lore mit, »aber das ist kein Wunder, denn er ist der Einzige, den ich besser kenne.«
    »Ich«, verkündet sie, »ich liebe deinen Onkel Georg.«
    Wir müssen beide kichern. »Aber stört es dich denn nicht ... ich meine ... er muss doch jetzt ziemlich schlimm aussehen ...«
    »Wer hat das behauptet?« Lore ist so entrüstet, dass sie die Wäsche in den Korb zurückwirft; sie baut sich vor mir auf und stemmt die Hände in die Hüften. »Er ist immer noch derselbe, nun eben mit Augenklappe und Kunsthand. Und? Das kann ihm nichts anhaben! Selbst als er letzten Sommer zur Erholung hier war, ganz dünn und blass und direkt aus dem Sanatorium ...« Sie seufzt. »Er ist einfach der schönste Mann auf Erden. Und erst sein Lachen! Man müsste es auf Schallplatte aufnehmen und an Regentagen rauf- und runterspielen.«
    Lore ist selbst sehr hübsch, finde ich. Sie hat blaue Augen, weißblondes Haar und eine Stupsnase; sie sieht aus wie eine ganz junge Kristina Söderbaum. »Wenn Damen zum Abendessen kommen, reißen sie sich darum, deinem Onkel das Fleisch auf dem Teller zu schneiden«, erzählt sie. »Er sitzt dann dabei und sieht zu und hält das alles für sehr lustig.«
    Onkel Eckhardt hingegen findet Lore ein wenig Furcht einflößend, »wie er immer so dasteht und denkt«, sie geht nur auf Zehenspitzen vorbei, um ihn nicht zu stören. Und Max? Max trinkt zu viel! Ich bin schockiert.
    »Nicht, dass man ihn je betrunken erlebt!«, fügt Lore rasch hinzu, als sie mein entgeistertes Gesicht bemerkt. »Aber er genießt es eben, Wein und feines Essen, er hat einen guten Schluck und dann erzählt er schlechte Witze.«
    »Ich habe Onkel Max nicht einen einzigen schlechten Witz erzählen hören, als ich bei ihm und Tante Lexi gewohnt habe«, erkläre ich beleidigt.
    » Sehr schlechte Witze«, wiederholt Lore mit Nachdruck. »Witta sagt, wir sollen nicht zuhören, das ist immer noch die Herrschaft, sagt sie, aber für solche Witze kann man ganz schnell ins Gefängnis kommen.«
    »Ach«, murmele ich betreten, » solche Witze ...«, und plötzlich finde ich es gar nicht mehr so angenehm, mit Lore hier zu stehen, die mehr über meine Familie weiß als ich.
    Ob sie

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