Einundzwanzigster Juli
»Ja!«
»Weißt du schon mehr ...?« Ina beugt sich neugierig vor.
Lexi wehrt ab, aber dann muss sie doch mit der Sprache heraus. Sie ist häufig bei Onkel Georg und Onkel Eckhardt zum Abendessen – für sie nur ein kurzer Weg mit der Fähre über den Wannsee – und offenbar geben sich dort die interessantesten Leute dieKlinke in die Hand, die alle der Meinung sind, es könne nicht mehr lange dauern.
»Gemein! Du siehst unsere Männer öfter als wir. Geht ihr etwa auch segeln?«
»Aber ja! Es ist unglaublich, wie geschickt Georg wieder ist«, erzählt Lexi lächelnd. »Er bindet sich sogar die Schuhe selbst – mit nur drei Fingern und den Zähnen.«
Tante Nelly stellt ihre Kaffeetasse ab. »Georg bedrückt etwas«, sagt sie. »Als er Sonntag anrief, war er ganz merkwürdig. Wollte nicht, dass ich mit den Kindern nach Lautlitz fahre, dabei war das schon lange geplant.« Sie hebt die Schultern. »Wenn ich die Fahrkarten nicht bereits gekauft hätte, hätte ich ihm den Gefallen getan, aber warum können sie einem nicht einfach sagen, was los ist?«
»Und das von dir!«, ruft Ina mit gespielter Entrüstung. »Wer macht denn immer so ein Prinzip daraus, sich nicht in Männersachen einzumischen? Erinnerst du dich? Dem Mann den Rücken freihalten! Ihm bloß nicht im Wege stehen, ihn nicht zusätzlich belasten! Dienstliches geht mich nichts an! Das waren deine Worte, ich hab sie noch im Ohr, und Eckhardt leider auch. Jedes Mal, wenn ich etwas von ihm wissen will, darf ich sie mir anhören.«
Tante Nelly läuft rot an. »Du machst es ganz richtig, Nelly«, kommt Lexi ihr zu Hilfe. »Georg kann auf dich zählen, das weiß er, und etwas anderes wäre für ihn im Moment auch gar nicht zu ertragen.«
Nelly sieht sie dankbar an. »Aber dass du dich bloß nicht damit zufriedengibst, wenn das alles wieder vorbei ist!«, fügt Lexi hinzu, und nun lacht auch Ina, die einen Augenblick tief gekränkt dreingeschaut hat.
»Ich habe Glück mit meinen Schwiegertöchtern«, sagt Omama zu mir. »Mit allen dreien, so verschieden sie auch sind. Findest du nicht?«
Worauf die Tanten mich so verschmitzt ansehen, als erwarteten sie tatsächlich eine Antwort! »Die Onkel sind doch auch ziemlich verschieden, wie man hört.«, gebe ich lahm zurück.
Sofort beugt sich Nelly erwartungsvoll zu mir. »Was hört man denn so ...?«
Ach ...! Jetzt habe ich den Salat. Was soll ich bloß antworten? Was ich tatsächlich gehört habe, sind doch nur die Gerüchte von Lore ...
»Es waren einmal drei Brüder«, hilft mir Lexi unerwartet aus der Patsche. »Sie wohnten in einem Schloss auf der Schwäbischen Alb und liebten Musik, Bücher und die Natur, aber auch die alten Zeiten, denn ihre Eltern hatten dem König und der Königin von Württemberg gedient und seit deren Abdankung war alles immer schlechter geworden.«
»Alle drei verehrten seit ihrer Jugend einen berühmten Dichter, den sie den Meister nannten und mit dem sie von einem besseren Deutschland träumten«, fällt Ina eifrig ein. »Er gab ihnen neue Namen, um zu bekunden, dass sie zu ihm und zueinander gehörten, und all das schweißte sie fest zusammen, obwohl jeder Einzelne von ihnen einen ganz eigenen Charakter besaß.«
»Sie waren wie ihre Musikinstrumente: das Klavier, die Geige und das Cello. Jedes hat seinen eigenen Klang, aber zusammen klingen sie am schönsten«, fährt Nelly fort. »Die beiden älteren Brüder waren Zwillinge, einer lustig und leichtsinnig, der andere ernst und etwas schüchtern, deshalb heiratete der Erste eine sehr kluge Frau, die ihn dirigierte, ohne dass er es merkte, ihn sogar in der Meinung beließ, er sei zu Hause der Chef ...«
»... und der Zweite eine sehr fröhliche und temperamentvolle Frau, die seinen Blick auf die schönen Seiten des Lebens lenkte«, fällt Lexi hastig ein, um Nelly zu stoppen, bevor diese noch mehr Details ihrer Ehe enthüllen kann.
»Der strahlendste Bruder aber war der Jüngste«, nimmt Ina den Faden wieder auf. »Wenn er einen Raum betrat, füllte sich diesermit Wärme, denn der jüngste Bruder lachte gern und viel, konnte wunderbar zuhören, rezitierte Gedichte und alle waren überrascht, dass er nicht Architekt wurde, sondern Offizier. Er liebte das Leben und freute sich noch an den kleinsten Dingen, deshalb heiratete er eine junge und schöne Frau aus adligem Hause, die diese Freude mit ihm weitergeben wollte. Sie bekamen das erste Kind, dann das zweite, dritte, vierte, und als man schon mit dem Mutterkreuz hinter ihr
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