Einundzwanzigster Juli
herrannte, war plötzlich auch das fünfte ...«
Nelly wirft ihre Serviette nach Ina, die Tanten brechen in Gelächter aus. Nur Omama reibt sich verstohlen eine Träne aus einem Auge und wirft mir mit dem anderen einen Blick zu, als wolle sie sagen: Siehst du, Fritzi, genau das habe ich gemeint.
»Schade, dass ihr meinen Vater nicht kennt«, entfährt es mir.
Ina antwortet: »Aber natürlich kennen wir deinen Vater!«
Lexi gießt Kaffee nach – sich selbst die dritte oder vierte Tasse; sie hat ihn aus der Luftwaffenkantine mitgebracht, einem der wenigen Orte im Reich, wo es noch echten Kaffee gibt. »Ich erinnere mich sehr gut an unsere erste Begegnung. Genau dort hat er gestanden, ganz allein«, sagt sie und zeigt auf eine Stelle nahe der Terrasse. »Ich drückte mich an dem Tag ein wenig verloren herum, denn Max und ich kannten uns schon so lange, dass es allmählich ernst wurde, aber ich war unserer Sache einfach nicht sicher – ihr wisst ja, warum. Und da stand nun dieser freundliche, nachdenkliche Mann, wir kamen ins Gespräch, und er erzählte in so warmen Worten von dieser Familie, in die er eingeheiratet hatte, dass ich merkte, ach, eigentlich möchte ich es doch auch ganz gerne ...! Und ich weiß noch, dass ich nach dem Familientreffen zu Max gesagt habe: Deine Kusine Almut hat Glück gehabt mit ihrem netten Hans.«
Ich starre die Stelle an und bekomme eine Gänsehaut. »Dein Vater ist ein hervorragender Reiter«, weiß Nelly zu berichten. »Nicht dass ich das beurteilen könnte, aber Georg hat ihn sehr gelobt und ihr wisst, wie kritisch er ist. Sie waren mehrmals miteinanderdraußen. Onkel Yps hat Hans sein Pferd geliehen, eine närrische Stute namens Vitesse.«
»Es gibt ein Bild«, falle ich ihr aufgeregt ins Wort, »von Onkel Georg und Vater zu Pferde mit dem Schlossportal im Hintergrund. Das war Vitesse?«
»Sie ist später mit Onkel Yps nach Russland gegangen und heldenhaft gefallen. Wenn du ihn auf Vitesse ansprichst, bekommt er heute noch feuchte Augen.«
»Almut hat Todesängste um Hans ausgestanden!«, erinnert sich Omama. »Sie war damals schwanger mit dir, Fritzi, aber kennengelernt haben wir dich erst, als du drei Jahre alt warst.«
Ina hebt ihre Kaffeetasse. »Schön, dass du wieder hier bist, Fritzi«, sagt sie warm.
Müsste ich nicht ständig an Mutter denken – alles könnte in diesen Minuten beginnen, so schön zu sein! Im Liegestuhl sitzen, den Gesprächen lauschen und auf die nächste Mahlzeit warten, später am Tag vielleicht schwimmen gehen, und Lexi sagt bestimmt nicht Nein zu einer Runde Federball ... doch mein Kopf sperrt sich, er macht sein eigenes Ding.
Halb eins. Warum ging sie um halb zwölf und um zwölf nicht ans Telefon? Es ist die beste Zeit, in Berlin anzurufen!
»Wenn das seine Untergebenen wüssten ...! Eine Wespe, und Georg sitzt sofort unterm Tisch!« Gelächter prasselt wie Hagelkörner gegen meine Schläfen.
Wenn sie gerade in der Schlange vor dem Laden stand, als Alarm kam, wird sie im öffentlichen Luftschutzbunker sein. Ich versuche es um zwei noch mal ...
»Ich musste mein Abendkleid mitbringen und alten Familienschmuck anlegen, und dann saßen wir in dieser winzigen Stube unter Heiligenbildern und die rührenden alten Bauersleute bedienten uns mit den Delikatessen, die Max eigens für den Abend zusammengekauft hatte. Das war unser Abschied in Milowice, direkt vor seinem Abtransport an die russische Front.«
Wenn sie im öffentlichen Bunker sein sollte, kann es Tage dauern, bis sie nach Hause kommt.
»Ich durfte manchmal das Volk spielen, wenn Eckhardt eine Denkschrift ausgearbeitet hatte. Wenn ich dann sagte: ›Das Volk versteht kein Wort!‹, hieß es: ›Wunderbar!‹«
Zum Teufel, warum ist Olesia auch zu dumm, ans Telefon zu gehen? Ihren Namen wird sie doch sagen können! Nur um zu wissen, dass es die Wohnung noch gibt ...
»Sag ihm die Wahrheit!«, ertönt plötzlich eine helle Stimme. »Niemand kann zaubern!«
Ich reiße die Augen auf. »Zeig ihm, was du uns gezeigt hast!«, fordert mich Konstantin auf.
»Sie kann nicht zaubern!« Guntram schiebt die Hände in die Hosentaschen. »Sie ist höchstens geschickt im Verstecken.«
Konstantin legt mir wortlos Serviette und Murmel in den Schoß. Tu was!, steht ihm ins Gesicht geschrieben; schließlich geht es hier auch um seine Ehre. »Was wollt ihr?«, frage ich. »Zauberei oder wissen, wie es geht?«
»Wissen, wie es geht!«, überstimmen die Jungen ihre kleinen Schwestern.
Nur
Weitere Kostenlose Bücher